Bittere Mandeln
Unglück. Sie bedeuten, daß du Wurzeln schlägst und nicht mehr aus dem Bett herauskommst. Das wollen wir doch nicht hoffen.« Tante Norie steckte mir ein Fieberthermometer unter die Achsel.
»Die Blumen sind Genesungswünsche von deinen Freunden und Kollegen«, fügte Tom hinzu. »Alle haben sich solche Sorgen gemacht nach deinem Zusammenbruch im Mitsutan.«
»Mir ist schlecht geworden, stimmt’s?« Plötzlich fiel mir das Bild mit der Gießkanne wieder ein.
»Das ist ziemlich milde ausgedrückt«, sagte Tom. »Du hast dich übergeben und das Bewußtsein verloren. Das war am Samstagnachmittag, heute ist Dienstag. Bis gestern nachmittag warst du im St. Luke’s. Dann hast du darauf bestanden, entlassen zu werden. Ich mußte versprechen, mich um die Organisation der Nachsorge zu kümmern. Normalerweise wärst du bei uns zu Hause in Yokohama, aber meine Mutter war der Meinung, daß es besser für dich wäre, wenn du dich von den Reportern fernhältst.«
Ich erinnerte mich dunkel, in einem Bett mit gestärkten weißen Laken gelegen zu haben. Dann war da noch etwas mit einer überlaufenden Bettpfanne gewesen und einer Taxifahrt mit mehreren Leuten. Was hatte ich sonst noch verpaßt?
»Ich habe deine Eltern angerufen und ihnen alles erzählt. Sie waren auch der Meinung, daß es das beste ist, wenn ich dich pflege«, sagte Tante Norie. »Ich bleibe hier, so lange du mich brauchst.«
Als ich mich umsah, fiel mein Blick auf Steppdecken, die ich nicht kannte, auf zwei Koffer und einen extragroßen Reiskocher. Offenbar hatte Tante Norie vor, eine Weile zu bleiben.
»Du machst dir viel zu viele Umstände«, sagte ich. »Was habe ich denn? Eine schlimme Grippe? Der Hals tut mir immer noch weh …«
Tom schüttelte den Kopf. »Der Hals tut dir weh, weil wir dir den Magen auspumpen mußten. Außerdem hast du im Verlauf der letzten achtundvierzig Stunden ein paar intramuskuläre Injektionen erhalten. Du hast eine ganze Menge aushalten müssen, Rei.«
»Mir ist der Magen ausgepumpt worden?«
»Ja. Man hat versucht, dich zu vergiften. Wir sind immer noch dabei, das Gift zu analysieren. Ich habe da so einen Verdacht. Lebensmittelläden und Hobbyköche bewahren Nahrungsmittel nicht immer hygienisch auf. Ich habe schon Patienten gehabt, die krank geworden sind, weil sie gegrillten Fisch über Nacht nicht in den Kühlschrank gestellt oder Reis zu lange im Reiskocher gelassen haben.«
»Aber im Kühlschrank geht die ursprüngliche Konsistenz verloren«, schaltete sich Tante Norie ein und zog das Thermometer unter meiner Achsel heraus. Dann reichte sie es Tom.
»Die Temperatur ist normal«, sagte Tom. »Hast du irgendwelche Reste gegessen, Rei? Oder verdorbene Nahrungsmittel in einem Laden oder Restaurant gekauft?«
Ich hatte wie üblich Tee und Toast gefrühstückt und dann das Mittagessen ausgelassen, aber ein paar Reiskuchen von Mr. Waka zu mir genommen. »Ich habe einige sakura mochi mit einem Kunden gegessen. Sie waren aus dem Family Mart.«
»Die Leute von der Polizei haben die mochi -Packung in deinem Abfall gefunden und sie analysiert. Aber die scheinen in Ordnung gewesen zu sein.«
»Die Beamten sind meinen Müll durchgegangen?« Obwohl das natürlich in meinem Interesse geschehen war, hatte ich das Gefühl, daß meine Privatsphäre verletzt worden sei.
»Ja. Außerdem habe ich Lieutenant Hata versprochen, ihn anzurufen, sobald du wieder wach bist, damit er dich befragen kann«, sagte Tom.
»Ich versuche dir doch schon den ganzen Morgen zu erklären, daß Rei noch zu schwach ist. Bloß weil sie die Augen aufgemacht hat, bedeutet das nicht, daß sie bereit ist, mit jemandem zu reden«, sprang mir meine Tante bei.
»Wenn wir nicht herausfinden, wo sie die verdorbenen Lebensmittel gekauft hat, werden unter Umständen noch mehr Leute in der Stadt krank oder sterben sogar«, erwiderte Tom. »Es ist ihre Bürgerpflicht, uns alles mitzuteilen, was sie weiß.«
Ich stimmte ihm zu, obwohl ich keine japanische Bürgerin war und auch keine besondere Lust hatte, Lieutenant Hata zu sehen. Eigentlich sehnte ich mich nur nach einem heißen Bad. Als ich aufstand, merkte ich, daß ich noch ziemlich wackelig auf den Beinen war. Tante Norie mußte mir ins Bad helfen.
»Rei, du solltest zuerst duschen. Bitte, ich helfe dir«, protestierte Tante Norie, als ich gleich in die Wanne stieg, die sich rasch mit heißem Wasser füllte.
»Ich kann nicht so lange aufrecht stehen.« Das stimmte sogar. Mein armes, gequältes Hinterteil
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