Bitterer Chianti
hat ausschließlich das Gesetz zu interessieren ...»
«Und mich meine Arbeit», unterbrach ihn Frank. «Ich bin am Freitag mit Graf Solcari verabredet. Ich werde ihn fotografieren, und dafür brauche ich diese Kamera, beziehungsweise eine neue.»
«Sie fotografieren nur Kellereien und Weinberge?»
Frank nickte. Was sollte diese Frage wieder?
«Keine, äh, wie soll ich sagen, Menschen, äh, Mädchen, erotische...»
«Aktfotografie, meinen Sie?», beendete Frank den Satz, um dem jungen Mann entgegenzukommen.
«Ja, äh, genau, das ... meine ich.»
«Nein», sagte Frank entschieden, «nicht mein Thema.»
Der Carabiniere war noch nicht ganz überzeugt, aber sein autoritäres Gehabe machte einem gequälten Lächeln Platz. Er brauchte Zeit für den Wechsel. «Sie haben mich falsch verstanden, Signore. Ich möchte beim Abfassen des Protokolls lediglich Unklarheiten vermeiden, die Ihnen hinderlich sein könnten. So ist das zu verstehen.»
Endlich, dachte Frank, endlich hatten sie eine gemeinsame Sprache gefunden. Eine Viertelstunde später trat er mit dem Protokoll in der Tasche auf die Straße. Mittlerweile war die Nacht heraufgezogen, und die Anspannung ließ Frank frösteln. Scheinwerfer rissen die Rocca aus der Schwärze der Nacht, die mittelalterliche Festung Castellinas mit dem gewaltigen Turm. Sie wirkte wie aus dem Himmel herausgeschnitten und hatte sich seit sechshundert Jahren nicht verändert, als diese Steine aufeinander geschichtet worden waren. Darüber funkelten die Sterne, ein Himmel, der sich wie eine Glocke über die Stadt und die Umgebung stülpte.
In der Rocca war das Rathaus, ehemals ein etruskisches Museum. Die Toskana war von den Etruskern besiedelt worden, sie hatten den Weinbau sogar vor den Römern praktiziert. Sicher hatten andere, unbekannte Völker lange zuvor hier gelebt, aber von denen waren weder Pfeilspitzen noch Gräber gefunden worden. Mit den Besichtigungen würde er warten müssen. Vorher musste der Weinführer fertig sein. Wie sollte er das nur schaffen?
Der Nachmittag fehlte ihm bereits, die Aufnahmen vom Vormittag mussten wiederholt werden, und den morgigen Tag würde er mit Rennerei in Florenz vergeuden – zwei ganze Tage. Die Sehenswürdigkeiten von Florenz wollte er sich für Christine aufheben, dann könnte sie ihm keine kulturelle Ignoranz mehr vorwerfen, aber in Wirklichkeit waren es die Warteschlangen vor den Museen, die ihm den Kunstgenuss verdarben.
Das Pflaster der Via delle Volte, des überdachten Wehrgangs, glänzte im Schein der schmiedeeisernen Laternen, die ein blasses Licht auf harte Hauswände aus Bruchstein warfen. Mörtel bröckelte von einigen Fassaden und ließ darauf wirre Muster entstehen. In den Schatten der Stützmauern und Bögen lebte die Vergangenheit auf. Frank hätte sich nicht gewundert, wenn jemand mit wehendem Umhang hinter der nächsten Ecke hervorgetreten wäre, die Florentiner Klinge in der Hand, einen Hut mit Feder auf dem Kopf. Aber es waren lediglich Gitter, Simse und angeschlagene Kapitelle, die bizarre Schattenspiele schufen.
Die Erinnerung an den schrecklichen Nachmittag verblasste. Lau strich ihm die Luft über die Wangen, er hörte das silberne Zirpen der Grillen. Die Nacht empfand er als gnädig, nichts war genau umrissen, die Dunkelheit verdeckte, sie beschwichtigte seine angespannten Nerven, in ihr herrschte eine andere Zeit. Sie schuf Raum für Ruhe und Phantasie, so wie jetzt, wo sie es ihm leicht machte, sich in eine vergangene Epoche hineinzufühlen – zumindest bis morgen früh.
Frank strebte auf eine Bar zu, als neben ihm ein Mann im dunklen Anzug eilig aus einem Torbogen ins Licht trat. Frank war sofort hellwach, dunkle Anzüge waren in Castellina selten. Er beschleunigte seinen Schritt und folgte dem Unbekannten mit klopfendem Herzen. Als der Mann sich misstrauisch umdrehte, drückte Frank sich in einen Torbogen. Seine Nerven hatten ihn in die Irre geführt. Dieser Mann glich weder vom Gang noch von der Statur her einem der Männer, die auf ihn eingeschlagen hatten. Der Verfolgte stieg in einen Fiat mit Mailänder Kennzeichen.
Frank stöhnte, vergrub die Hände in den Hosentaschen und schlenderte zurück zur Bar. Ein paar ältere Männer saßen draußen, Einheimische, sie redeten laut und lebhaft und rauchten. An Essen war nicht zu denken, dazu schmerzte sein Kiefer noch zu sehr; vielleicht einen Kaffee, einen Espresso, dazu einen Sambuca mit Kaffeebohnen – und dann ins Bett. Er wollte morgen der Erste beim
Weitere Kostenlose Bücher