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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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aber kein Laut. Doch, das Gebell, also musste jemand da sein. Er schlenderte hinüber zum Haupttor. Rechts vom Parkplatz begann eine Pergola, die zum zweistöckigen Wohnhaus führte. Wein rankte an den Säulen, und zwischen den Querstreben hingen reife, violette Trauben.
    Frank betätigte den Türklopfer auf der mit Eisennägeln beschlagenen Haustür. Vergeblich wartete er auf das Geräusch von Schritten, kein Laut, niemand rührte sich. Er klopfte heftiger, schließlich wummerte er mit der Faust gegen das Holz – ohne Erfolg, nur der Hund bellte wie wild. Die Fenster lagen hoch – auch diese Azienda stammte wie die anderen Gehöfte aus dem 15. und 16. Jahrhundert und war so gebaut, dass man sie leicht verteidigen konnte, was damals im Chianti üblich und nötig gewesen war. Ohne Leiter konnte er keinen Blick ins Innere des Hauses werfen. Die unten liegenden Fenster, einst Schießscharten, waren vergittert, dahinter war alles dunkel.
    Während er unter der Pergola zurückging, probierte er die Trauben, die ihm fast in den Mund wuchsen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, um welche Art Wein es sich handelte, aber sie schmeckten besser als alle, die er jemals probiert hatte. Ob Palermos Wein genauso gut war ...?
    Zu Franks Überraschung war das Hoftor offen, und er trat in einen gepflasterten Hof. Hier hatte er noch viel mehr den Eindruck, in einer Burg zu stehen, denn die Gebäude, mochten es ehemalige Speicher, Werkstätten und Stallungen sein, bildeten ein Geviert, in dem sich alle Gebäude gegenseitig stützten. Alles wirkte sehr gepflegt. Die Dächer waren erst kürzlich neu gedeckt worden und die Wände neu verfugt. Der rote Fiat und der Pick-up standen seit gestern an derselben Stelle. Wohnte Palermo in Florenz oder in Siena, wie andere, denen das Leben in ihren Landhäusern zu langweilig oder zu unbequem war? Aber doch nicht mitten in der Lese – und wieso stand das Tor offen?
    Frank legte die Hände wie ein Sprachrohr an den Mund: «Buon giorno!»
    Keine Antwort, kein Laut, es war so still, dass Frank das Blut in den Ohren rauschen hörte.
    «Signor Palermo?» Das darauf folgende Schweigen war geradezu unheimlich.
    «C‘è qualcuno qui?»
    Auch die Frage, ob jemand da sei, verhallte ungehört zwischen den Mauern, nur der Hund gebärdete sich wie toll. Allerdings hörte sich das Kläffen eher nach einem Winseln an als nach dem wütenden Gebell eines Wachhundes.
    Das Tier tat Frank Leid. Es war ihm klar, dass er hier nicht einfach so eindringen durfte, aber wieso kümmerte sich niemand um den Hund? An der Rückfront des Wohnhauses lagen die Fenster niedriger, es gab eine Tür. Sollte er es versuchen? Er drückte die Klinke hinunter, die Tür ging auf, dahinter öffnete sich ein dunkler Flur. Aber nach dem gestrigen Erlebnis war Frank nicht wohl dabei, und er schloss die Tür wieder. Das Winseln des Hundes wurde lauter, das Tier wusste, dass jemand gekommen war, und als er um eine Ecke bog, sah er den braunen Setter. Normalerweise hätte er sich dem Zwinger nicht genähert, aber dieses Tier war jung, es hechelte entsetzlich, die Zunge hing weit aus dem Maul, der Trinknapf war leer, der Zwinger voll Kot. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    Frank fand einen Wasserhahn und einen Eimer, füllte ihn und goss das Wasser in den Trinknapf. Der Hund schlabberte gierig, der Napf war im Nu leer, Frank füllte ihn ein zweites und ein drittes Mal, bis der Hund sich beruhigte und sich freundlich wedelnd an den Zaun drückte. Frank mochte Setter, ihr rotbraunes Fell. Meistens waren sie freundlich, aber ein fremdes Tier fasste er nie an, und als er sich zum Gehen wandte, kläffte der Hund wieder. Erst als Frank das Hoftor geschlossen hatte, wurde es still – viel zu still für Franks Empfinden.
    Was ging hier vor? Frank würde Palermo abends vom Hotel aus anrufen, oder besser noch vom Consorzio aus, wo er auf dem Rückweg aus Florenz vorbeifahren wollte. Die Mitarbeiter der Winzervereinigung wussten sicher, wo Palermo zu erreichen war, denn schließlich hatten sie den Fototermin mit ihm arrangiert.
    Nachdenklich fuhr Frank zurück nach Castellina. Hätte er nicht besser warten sollen, zumindest auf die Arbeiter, wenn Palermo oder sein Sohn schon nicht auftauchten? Aber er musste unbedingt der Erste in der Werkstatt sein, die Zeit drängte ...
    Castellina kündigte sich schon von weitem mit riesigen Silos an, gewaltigen Betonröhren, den hässlichsten Bauwerken im gesamten Chianti Classico. Von dieser Seite aus bot das

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