Bitterer Chianti
wollte. Der Carabiniere schien fasziniert.
Frank betrachtete den jungen Mann, Anfang zwanzig, schätzte er, eigentlich ein ganz hübscher Kerl. Ihn hätte er sofort beschreiben können: dunkle Augen, eingerahmt von langen Wimpern, eine leicht nach rechts gebogene Nase, die rechte Augenbraue länger als die linke ... Was zum Teufel hinderte ihn nur, die Gesichter der Prediger zu beschreiben? Nicht einmal an ihre Frisuren oder die Haarfarbe erinnerte er sich. Aschblond, mittelbraun – oder grau?
Er hätte dem Carabiniere etwas über das Gewicht von Farben erzählen können, das Schwarz der Anzüge und der Sonnenbrillen, das alles andere verschwinden ließ, wie Augenbrauen und Gesichtszüge, Form der Nase ... Er hatte versucht, das Schwarz der Ray-Ban zu durchdringen, in den Augen irgendetwas zu erkennen, eine menschliche Regung. Die Augen waren es, die sprachen, darauf hatte er sich konzentriert, aber nur er selbst hatte sich in den Gläsern der Sonnenbrille verzerrt gespiegelt. Der Polizist mit dem albernen Abdruck seiner Mütze im Haar hätte es nicht kapiert. Frank räusperte sich unüberhörbar.
Der Carabiniere riss sich vom Bildschirm los, blickte Frank tadelnd an und nahm wichtigtuerisch die zerstörte Kamera in die Hände. «Die hat man Ihnen entrissen und so zugerichtet, nur um an den Film zu kommen? Nein. Alles, was Sie sagen, ist unglaubwürdig.»
Frank nickte. «So ist es.»
Die plötzliche Zustimmung verwirrte den Polizisten. «Ich, äh ... ich will Ihnen sagen, wie es wirklich war. Sie ist runtergefallen, und Sie wollen eine neue. Wir kennen das. Touristen behaupten, dass sie bestohlen wurden, in Wirklichkeit betrügen sie ihre Versicherung. Das ist eine Beleidigung für uns Italiener. Und ich soll Ihnen meinen Segen dazu geben? Niemals!»
Was für ein Idiot, dachte Frank. «Wozu sollte ich als Fotograf meine beste Kamera zerschlagen?»
«Woher soll ich wissen, dass Sie Fotograf sind?»
Der spielt Kommissar, kam Frank in den Sinn, und er knallte seinen Presseausweis wütend auf den Schreibtisch. Der Carabiniere hatte so etwas noch nie gesehen, und er betrachtete ihn skeptisch.
«Vielleicht wollen Sie auch das Nachfolgemodell Ihrer Kamera haben? Das wäre durchaus plausibel.»
«Es gibt keine bessere als diese Kamera!», fuhr Frank wütend hoch. Entweder war sein Gegenüber strohdumm oder verfolgte eine Absicht. Frank zwang sich zur Ruhe, der Fuß zuckte schon wieder. «Die ist keine drei Monate alt, Objektiv und Kamera sind zusammen glatt viereinhalbtausend Euro wert. Da werde ich nicht...»
«Viereinhalbtausend Euro? Das hat mein Auto nicht mal gekostet. Wissen Sie, Signore, ich glaube Ihnen nicht. Sie haben auch keine Zeugen. Sie behaupten, dass Sie überfallen wurden. In Florenz oder Pisa vielleicht, aber auf dem Weinberg von Niccolò Palermo?»
«Sie können das überprüfen.»
«Das werden wir auch, verlassen Sie sich darauf, und wenn ich persönlich hinfahre. Wenn Sie mit Palermo verabredet gewesen wären, dann wäre er auch da gewesen. Er ist die Zuverlässigkeit in Person. Ihr Handy wollen Sie auch noch verloren haben? Signore ...»
«Sie sitzen nicht hier, um meine Aussagen zu bewerten, sondern um sie zu Protokoll zu nehmen ...»
«... und Sie haben mir nichts über meine Arbeit zu erzählen», fuhr ihn der Carabiniere barsch an.
Frank verschränkte die Arme vor der Brust. Weshalb machte der Kerl ihm solche Schwierigkeiten? War es primitive Freude an der Macht? Wenn er einen Versicherungsbetrug voraussetzte, wollte er dann mitverdienen? Keinen Cent, sagte sich Frank, nicht ums Verrecken. Er musste die Angelegenheit jetzt zu Ende bringen. Nur – Härte mochte zu Hause angebracht sein, aber bei Italienern erreichte man damit das Gegenteil. Er machte einen Vorstoß, diesmal in die richtige Richtung:
«Ich bin hier, um Ihre Winzer zu fotografieren, Signore, die Winzer des Chianti Classico, ihre Weine, die Natur, Hotels, Restaurants ... Alle verdienen Geld durch meine Arbeit, und Sie wollen mir Steine in den Weg legen?» Bastoni sagte man auf italienisch, erinnerte sich Frank, Knüppel, und nicht Steine, und korrigierte sich. «Das werden Ihnen die Winzer kaum danken. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich an das Consorzio zu wenden, an den Grafen ...»
Der Hinweis auf das Consorzio del Marco Storico, die Vereinigung der Winzer des Chianti Classico, zeigte Wirkung. Das Consorzio war einflussreich, der Graf bekannt – der Carabiniere schob den Presseausweis zurück. «Mich
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