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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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richtig gewesen, Sangiovese mit Merlot zu verschneiden statt wie bisher mit Canaiolo und Colorino? In diesem Jahr hatte jemand nur 40 Prozent neue Eichenfässer für die Alterung des Chianti Classico verwendet statt der 60 Prozent wie im vergangenen Jahr. Aber immer wieder tauchte eine ganz andere Frage auf: Wo war Niccolò Palermo? Wo war sein Sohn?
    Der Lokalsender hatte eine Suchmeldung gebracht, die Polizei bat um Hinweise, und die Zeitung hatte Fotos der beiden veröffentlicht. Die meisten Winzer kannten Niccolò Palermo vom Umweltbeirat her, der den staatlichen Umweltausschuss beriet und kontrollierte. Palermo galt als unbestechlich, was ihn sowohl beliebt als auch verhasst machte, je nach Interessenlage, wie Malatesta erzählte, der demselben Gremium angehörte.
    «Über ihn kann keiner was Schlechtes sagen, außer vielleicht seiner Frau – wegen seiner ständigen Affären. Vielleicht hat ihn ein gehörnter Ehemann verschwinden lassen.» Malatesta grinste süffisant.
    Seit Frank zur Azienda gefahren war, hatte niemand mehr Niccolò Palermo zu Gesicht bekommen. Es war eine Frage der Zeit, wann man ihn auf Palermos Verschwinden ansprechen würde, wo sich jetzt die Polizei sogar schon beim Consorzio nach ihm erkundigte. Wurde nicht immer derjenige verdächtigt, der eine Person als Letzter lebend gesehen hatte? Er hatte ihn aber gar nicht gesehen, da war lediglich jemand über den Hof gerannt. Der Sohn? Hatte er das neulich dem Carabiniere gesagt? Die Vorstellung, dass es die Polizei in Castellina wüsste, war äußerst beunruhigend, und Frank verdrängte den Gedanken an mögliche Konsequenzen.
    Egal, was geschehen war, Palermos Wein wurde hier bewertet, und die Signora musste die Azienda vertreten. Natürlich war auch sie auf das Ergebnis gespannt, doch die Belastung zehrte an ihren Nerven. Die Anspannung der letzten Tage hatte Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Trotzdem hatte sie darauf verzichtet, sich hinter einer dunklen Brille zu verstecken, daher sah man die müden Augen, einen traurigen Zug im Gesicht und die Blässe trotz des Make-ups. Die Frau bemühte sich um ein Lächeln, aber das nervöse Zucken ihrer Mundwinkel ließ sich schlecht verbergen.
    «Es geht los», sagte Scudiere hinter ihm und riss Frank aus seinen Gedanken. Der Consultore war gerade noch rechtzeitig eingetroffen. Frank musterte bewundernd die sportliche Gestalt. Scudiere hatte Geschmack, der elegante hellgraue Flanellanzug war maßgeschneidert, und die Krawatte mit dem feinen weißen Muster auf weinrotem Grund hatte mindestens hundert Euro gekostet. Neben ihm fühlte Frank sich mit seinem verknitterten Leinensakko fast ein wenig heruntergekommen. Dann aber zog der Techniker an der Tür zum Verkostungsraum die Aufmerksamkeit auf sich. Nur zwei Blitze zuckten und zeigten Frank, der ebenfalls die Kamera hob, dass nicht viel Konkurrenz an der Arbeit war.
    «Der Chef-Önologe des Consorzio del Vino Chianti Classico», flüsterte ihm Scudiere ins Ohr, «verantwortlich dafür, dass in der Flasche auch das ist, was draufsteht. Dafür gibt’s die rosa Banderole mit der Ursprungsbezeichnung DOCG! Er wird die Ergebnisse bekannt geben. Jetzt geht‘s ums Ganze!»
    «Geht es nicht auch um Ihre, ich meine um deine Weine?» Frank wunderte sich über das unbeteiligte Verhalten des Consultore.
    «Ma si, ja sicher. Aber vielleicht interessiert es den Mond gar nicht, ob ihn der Hund anbellt?» Scudiere zog ein wenig zu selbstbewusst die Augenbrauen hoch.
    «Aber es geht auch um dein Geld.»
    «Wenn man nicht von dem überzeugt ist, was man tut, dann sollte man es gleich lassen.»
    Winzer, Presseleute und auch Händler drängten in den Saal und gruppierten sich auf der einen Seite des langen Tisches, die acht Verkoster blieben auf der anderen Seite. Eine kurze Ansprache wurde gehalten. Allgemeinplätze über die geringe Erntemenge wegen der großen Hitze des Vorjahres, die Probleme, die während der Gärung aufgrund des hohen Zuckergehalts entstanden waren und die starke Säure in den Beeren. Normalerweise sank der Säuregehalt zum Reifezeitpunkt hin, aber da die Beeren sehr wenig Wasser enthalten hatten, blieb sie zu konzentriert. Doch die erfahrenen Weinmacher, Öno-logen, Agronomen und Kellermeister hätten alle Schwierigkeiten gemeistert, was ja auch nicht anders zu erwarten gewesen sei. Heute hätten sie einen Jahrgang präsentiert, der die vorhergehenden an Qualität bei weitem übertraf...
    In diesem Moment sah Frank die braun gebrannte Frau mit

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