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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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anderthalb Stunden einen Chianti Classico nach dem anderen verkostet hatte. Zuerst unterhielten sich nur zwei oder drei Weinproduzenten flüsternd in der Halle, dann zehn, das Gemurmel nahm zu, und als gegen halb sechs etwa siebzig bis achtzig Frauen und Männer laut durcheinander redeten, musste man fast schreien, um sich zu verständigen.
    Es war die Spannung, die sich auf diese Weise löste: Im Verkostungsraum entschied eine achtköpfige Kommission über Geschmack, Duft und Qualität der Weine, über die Mühe eines ganzen Jahres und damit auch über sehr viel Geld.
    Frank wurde von einigen Winzern begrüßt, die er in den Tagen zuvor kennen gelernt hatte, und die wiederum machten ihn mit anderen bekannt. Er schüttelte Hände und hörte Namen, die er sofort wieder vergaß, an die Gesichter jedoch würde er sich auf jeden Fall erinnern können. Und mittendrin wieselte dieser Avvocato Strozzi, dem er auf dem Flur des Consorzio begegnet war. Heute trug er einen etwas zu blauen Anzug mit roter Krawatte und wirkte überaus aufgeräumt, klopfte auf Schultern, küsste Frauen auf die Wangen und behandelte seine Winzerkollegen, als wäre er der Präsident des Consorzio. Frank hatte das Gefühl, dass viele ihm mit einer gewissen Distanz begegneten.
    Unter den Anwesenden war auch Anna, seine Betreuerin vom Consorzio, bleich und gehetzt steuerte sie auf ihn zu: «Ich wollte Ihnen eine Einladung schicken, aber wie ich sehe, sind Sie ja auch ohne reingekommen.»
    «Hat Stefano Scudiere Sie darum gebeten?»
    «Nein, wieso? Es war meine Idee, ich dachte, es könnte für Sie interessant sein.»
    «Und Sie haben die amerikanischen Journalisten überlebt?»
    «Es ist noch nicht vorbei. Es sind nicht die Ersten», sagte Anna, «es werden auch nicht die Letzten sein. Aber alle reisen irgendwann wieder ab ...»
    Genau wie ich, dachte Frank, und man würde ihn genauso schnell vergessen wie alle anderen, die hier gewesen waren.
    «Was haben Sie eigentlich mit den Carabinieri von Castellina zu tun? Da hat sich ein Commissario Sassarella nach Ihnen erkundigt.»
    Frank schluckte. Was sollte er antworten? Er musste sich herausreden, er durfte seine Arbeit nicht gefährden, nur kein Misstrauen aufkommen lassen. Die Wahrheit? Sie war sicher das Dümmste, was man sagen konnte, trotzdem entschied er sich dafür: «Ich bin überfallen worden, dabei ging meine Kamera zu Bruch, ich habe Anzeige erstattet...»
    «Ach, so war das. Ich dachte schon, es wäre etwas mit Ihnen, der Kommissar tat so geheimnisvoll.»
    Bevor Frank sich zu weiteren Erklärungen genötigt sah, wurde Anna von Mitgliedern des Consorzio mit Beschlag belegt. Im Weggehen winkte sie ihm zu: «Wir sehen uns ... dann erzählen Sie mir ...»
    Frank atmete auf, er war ganz sachte vorbeigeschrammt. Was wollte dieser verdammte Commissario? Da trat Giacomo Paese zu ihm und stellte einen Kollegen mit einem Weingut bei Gaiole vor, der wiederum ein Freund von Marco Malatesta und seinen biodynamischen Methoden war, und er stellte Frank zwei Winzer vor, die er nächste Woche aufsuchen musste. «Fließt der Strom wieder?», fragte Frank und dachte an das fehlende Porträt des Winzers.
    «Provisorisch, rein provisorisch. Drei Masten wurden abgesägt, das Kabel an mehreren Stellen durchschnitten und das Transformatorenhäuschen beschädigt. Eindeutig Sabotage.»
    «Sind Sie sicher? Haben Sie eine Idee, wer ...»
    «Nein. Da will mir jemand die Ernte unmöglich machen. Die Polizei ist eingeschaltet. Ohne Strom und Wasser sind wir aufgeschmissen, aber wir haben das Notstromaggregat. Die Leitung soll in den nächsten Tagen geflickt werden. Ab heute Nacht haben wir einen Wachdienst mit Hunden. Waren Sie gestern eigentlich mit den Aufnahmen fertig?»
    Frank verneinte und kündigte für irgendwann in den nächsten Tagen seinen Anruf an, um sich zum Porträt zu verabreden. Da drängte sich Renato Benevole dazwischen. Er hatte zwei Freunde mitgebracht, deren Güter südöstlich vom Podere Rondine lagen, in der Nähe des Städtchens Castelnuovo Berardenga, das Frank wegen des Lokalkolorits wärmstens empfohlen wurde. Einer der beiden bat Frank um Fotos seiner neuen Kellerei. Ein Auftrag, grazie a Dia! Also musste er hin, falls ihm noch Zeit blieb – vor Christines Ankunft in Florenz – oder danach.
    Die Mehrheit der Anwesenden bewegte ganz andere Fragen: Hatten sich die Investitionen des letzten Jahres gelohnt? Würde es sich auszahlen, dass man vier oder fünf Hektar hatte neu anlegen lassen? War es

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