Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
Vom Netzwerk:
Selbstverständlichkeit, als hätte auch er hier etwas zu erledigen. Ihn trieben sowohl die Neugier wie auch sportlicher Ehrgeiz. Was mochte die Frau in dem sündhaft teuren Kostüm diesem Kellner übergeben haben?
    Mit seinem weißen Anstrich wirkte der Verkostungsraum sehr hoch und weit. Er maß sicher mehr als dreißig Schritte, war mit Sisal ausgelegt, und der Eindruck von Weite wurde durch die lange Tischreihe im Zentrum des Raumes noch verstärkt. Die Tische waren weiß eingedeckt, und in der Mitte, eingerahmt von tulpenförmigen Gläsern und Sektkübeln, reihte sich eine endlose Kette von Weinflaschen aneinander, in Alufolie eingehüllt und mit Nummern versehen. Etiketten waren nirgends zu sehen, nur der Flaschenhals mit dem Zeichen des Gallo Nero ragte bei einigen heraus.
    Als Frank sich nach einem Versteck umsah, um den Kellner zu beobachten, bemerkte er die dunklen Gemälde an der rechten Wand: Schlachtengetümmel, wahrscheinlich das, wovon Malatesta gesprochen hatte. Die linke Wand war gänzlich leer.
    Der Kellner begann, die Flaschen abzuzählen. Er drehte Frank den Rücken zu, sodass er sich ungesehen hinter einer spanischen Wand verbergen konnte, zwischen Weinkisten und leeren Gläserkartons. Der Kellner mochte etwa die Hälfte der Flaschen abgezählt haben, immer wieder schaute er zur Tür, als er die weiße Plastiktüte vorsichtig aus der Jackentasche zog und ihr eine Plastikspritze entnahm.
    Erst als Frank sah, was er damit machte, wurde ihm der Sinn dieser Aktion klar. Der Kellner zog Wein aus einer der Flaschen, schüttelte die Spritze vielleicht zehn Sekunden, hielt sie wie ein Arzt vor einer Injektion in die Höhe, betrachtete die dunkle Flüssigkeit und gab sie zurück. Er wiederholte den Vorgang mit der nächsten Flasche und nahm dazu eine weitere Spritze. Dann hielt er beide Flaschen mit dem Daumen zu, drehte sie kurz auf den Kopf, schüttelte sie und stellte sie wieder in die Reihe. Ein Blick über den Tisch, einer zur Tür – Frank fuhr zurück –, mit wenigen raschen Schritten war der Kellner verschwunden. Erst jetzt fiel Frank auf, dass er kaum auf sein Gesicht geachtet hatte, viel mehr auf die flinken Hände. Doch er könnte den Mann beschreiben, wenn es sein musste: weiße Jacke, schwarze Hose und Fliege, glänzendes schwarzes Haar. Der Kellner hatte sehr lange Koteletten gehabt und ein schmales Ziegenbärtchen am Kinn, wie es zurzeit viele junge Männer trugen.
    Frank ging zur Mitte der Tischreihe, wo der Kellner gestanden hatte. Welche Flaschen hatte er manipuliert? Aber nicht eine war verschoben worden, so sah es zumindest aus, und auf die Entfernung hatte Frank die Nummerierung nicht erkennen können.
    «Eh, signore, cosa fa qui ?», herrschte ihn der Ober von vorhin an.
    Frank erschrak, fasste sich aber schnell und hielt dem Oberkellner seinen Presseausweis vors Gesicht. «Ich arbeite für das Consorzio.»
    «Questo non mi interessa! Interessiert mich nicht. Niemand darf rein, bevor die Jury nicht die Weine getestet hat! Niemand! Das ist Gesetz. Erst wenn die den Raum freigibt, dürfen die Winzer und die Presse rein. Damit keiner die Proben manipuliert. Also, bitte, gehen Sie, sofort.» Der Ober griff noch einmal zum Presseausweis. «Wo steht Ihr Name?»
    «Ist in Ordnung, ich gehe schon. Wann geht es los?»
    «Die Jury kommt in fünf Minuten, die brauchen mindestens zwei Stunden. Die ersten Winzer kommen so gegen fünf Uhr...»
    Frank sah auf die Uhr. Das waren noch anderthalb Stunden. Er konnte sich also ruhig noch einmal in der Stadt Umsehen – oder in Ruhe das gesamte Hospital besichtigen.
    «Wieso wissen Sie das nicht, wenn Sie fürs Consorzio arbeiten, wo steht hier Ihr Name auf diesem Ausweis? Was ist das überhaupt?» Er fasste Frank am Ärmel.
    «Was müsste ich wissen?», fragte Frank, erstaunt, dass der Ober noch immer insistierte.
    «Wann die Veranstaltung beginnt.»
    «Ist ja gut, Signore. Beruhigen Sie sich. Sie werden es nachher sehen – und nehmen Sie Ihre Hände da weg, ja?» Frank wurde böse, denn schon wieder fasste ihn jemand ungefragt an. Aggressiv riss er den rechten Arm hoch.
    Der Ober erschrak, wich aber nicht zurück. «Wenn Sie Schwierigkeiten machen, hole ich den Wachdienst...»
    «Dannazione! Non fa il diavolo a quattro! Verdammt! Spielen Sie hier nicht den wilden Mann!», stieß Frank wütend aus, drehte sich um und verließ den Raum.

6
    Donnerstag, 30. September
    Wie der Ober vorausgesagt hatte, trafen die Winzer ein, als die Jury bereits seit

Weitere Kostenlose Bücher