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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Tiefen des einstigen Hospitals. Ein langer Flur tat sich vor ihm auf, acht bis zehn Meter hoch. Die beiden Mitarbeiter des Consorzio, die vor dem Saal standen, in dem die Verkostung stattfinden sollte, kannte er nicht, auch nicht die wenigen Personen, die im Flur plauderten, und als er den Raum der Verkostung betreten wollte, versperrte ihm ein Oberkellner den Weg mit dem Hinweise auf den späteren Beginn der Veranstaltung: « Tardì , più tardì ...»
    Zu fotografieren gab es momentan nichts, zumal es verboten war, und so vertrieb sich Frank gegenüber in der Sala dei Pellegrinaio die Wartezeit auf angenehme Weise. Von Domenico di Bartolo hatte er nie gehört; dieser Maler hatte einen wunderbaren Freskenzyklus geschaffen, unter Beachtung der in der Renaissance entwickelten Perspektiven und des räumlichen Sehens, farbenfroh, realistisch, mit Sinn fürs Detail: Da prüften die Ärzte dieses Hospitals den Urin eines Kranken, Brot wurde an Bedürftige verteilt, Geld ausgezahlt, und ein Reiter, sicher ein Edelmann, schlug auf einen Handwerker ein, wahrscheinlich wegen einer überhöhten Rechnung. Sogar die Angst im Gesicht des Mannes, der auf eine Operation vorbereitet wurde, zeigte sich plastisch. Die Fresken waren kürzlich restauriert worden, und so strahlte sogar das Kreuzrippengewölbe wie neu, obwohl der Raum mit bodenlangen Vorhängen abgedunkelt war.
    Weitere Ausstellungen schlossen sich an, und was den Aufenthalt angenehm machte, waren die wenigen Besucher, ganz im Gegensatz zum Domplatz. Frank wollte soeben zu den Plastiken im ehemaligen Frauenkrankenhaus wechseln, als ihm eine Frau auffiel. Sie war schlank, ihr elegantes, anthrazitfarbenes Kostüm wirkte sehr edel, dazu passte auch das kurz geschnittene schwarze Haar. Am rechten Arm baumelte eine große schwarze Lederhandtasche. Das Auftreten der Dame, die Körperhaltung signalisierten Wohlstand – und auch Macht. Die Dame gehörte zweifellos zu jenen Menschen, die Befehle erteilten, statt sie zu empfangen.
    Sie hatte eine leichte Hakennase, einen Zug von Blasiertheit (vielleicht auch Ekel?) um den Mund und einen Ausdruck um die Augen, als suche sie etwas. Ausgiebig betrachtete sie die Fresken, schien aber nicht wirklich interessiert, ging weiter, blieb stehen, blickte zum Eingang, ging ein Stück weiter, drehte sich merkwürdig langsam um, und als Frank sich ihr von der Seite näherte, bemerkte er, dass sie den Kopf zwar geradeaus hielt, die Augen aber auf den Eingang gerichtet waren. Als ein Kellner hereinkam, hob sie kaum merklich den Kopf: Für den Bruchteil einer Sekunde huschte der Ausdruck des Erkennens über ihr Gesicht.
    Frank sah auf die Uhr. Ihm blieb noch viel Zeit bis zum Beginn der Veranstaltung, und er konnte in aller Ruhe das ungleiche Paar beobachten. Dass die beiden etwas verband, war ihm sofort klar, dazu hatte er zu oft die unterschiedlichsten Menschen in allen möglichen Situationen fotografiert. Die Spannung zwischen der Frau und dem Kellner war zu deutlich, sie stachelte seine Neugier an.
    Er hätte die beiden liebend gern fotografiert (eine geheime Affäre? Eine Geschäftsfrau mit Hang zum Küchenpersonal?), aber das strikte Fotografierverbot hinderte ihn. Die Aufnahme heimlich machen? Die Kameraverschlüsse waren zwar wesentlich leiser geworden, aber in dieser feierlichen Atmosphäre wäre es so laut gewesen, als hätte er eine Porzellantasse fallen lassen.
    Plötzlich hielt die Dame eine kleine weiße Plastiktüte in der Hand, die so gar nicht zu ihrem eleganten Auftritt und ihrer glänzenden schwarzen Lederhandtasche passte.
    Frank ließ sich an den Fresken vorbei in Richtung Eingang treiben, als der Kellner unauffällig hinter der Frau vorbeiging, zu ihr zurückkehrte und sie wie zufällig anstieß. Er entschuldigte sich – und wie von selbst baumelte die Plastiktüte an seinen auf dem Rücken verschränkten Händen, dann war sie verschwunden.
    Respekt, dachte Frank, eine gute Nummer, nur worum ging es hier? Falschgeld? Diamanten? Geheime Daten? Frank legte den Rucksack kurz ab und nahm eine Kamera heraus, die er von jetzt an offen in der Hand trug. Eine bessere Tarnung gab es nicht. Den Simpel zu spielen, den trotteligen Fotografen, war die sicherste Tarnung. Er folgte dem Kellner, der nach zwei langen Schlenkern durch die Vorhalle auf den Verkostungssaal zusteuerte. Die Tür stand halb offen, niemand hinderte ihn am Betreten des Raumes, doch ein Paravent verdeckte die Sicht ins Innere.
    Frank folgte dem Kellner mit einer

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