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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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schießen ließ. Sophie senkte den Kopf und erwartete das Unvermeidliche.
    Der Richter kehrte zurück und alle Anwesenden erhoben sich von ihren Plätzen. »Frau Sophie Ursinus wird aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf des Giftmordes an Hauptmann Ragay sowie an ihrem Ehemann, dem Geheimen Justizrat und Regierungsdirektor Theodor Ursinus, freigesprochen. Auch die Tötung ihrer Tante Christiane Witte konnte ihr nicht nachgewiesen werden. Für den versuchten Mord an ihrem Hausdiener Benjamin Klein, den die Angeklagte eingeräumt hat, wird sie jedoch zu einer lebenslangen Haftstrafe in der Festung Glatz verurteilt.«
    Lebenslänglich! Sie rang nach Luft, denn über dem Gerichtssaal schien das Urteil, das über sie verhängt wurde, schwer wie eine Gewitterwolke zu schweben, während der Richter ungerührt weitersprach.
    »Erlauben Sie mir noch ein paar abschließende Bemerkungen. Sophie Ursinus spielte uns allen während der Dauer des Prozesses die empfindsame, von Schwermut geplagte Witwe vor. Doch weder konnte durch einen der anwesenden Ärzte bewiesen werden, dass die Angeklagte zu irgendeiner Zeit tatsächlich unter Schwermütigkeit litt, noch hat sie tatsächlich selbst Gift eingenommen.«
    Seine energischen Worte hallten wie Donnerschläge in Sophie nach. »Hexe!«, hörte sie es in der Zuschauermenge zischen. »Hinterhältige Hexe!«
    »Es gab nie ein Motiv für sie, sich das Leben zu nehmen«, fuhr der Richter unbeirrt fort, »wohl aber Gründe, ihren Gatten sowie ihre Tante und vermutlich auch ihren Geliebten zu töten, der sie schon nach kurzer Zeit wieder verließ.« Er wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf sie. »Das Gericht hält diese Frau für eine abgefeimte Mörderin, die es vorzüglich versteht, ihren Mitmenschen die Rolle einer von ihrem kränkelnden Mann nicht ausreichend befriedigten Ehefrau vorzuspielen. Angeblich hat dieser sich als Kuppler betätigt, was aber in keinster Weise zum Charakter Theodor Ursinus' passen würde.«
    Viele murmelten eine Zustimmung.
    »Ihr Ehemann war für die Angeklagte nichts als ein Aushängeschild, durch den sie Zugang zur besseren Gesellschaft dieser Stadt erlangte, während der Tod der Tante ihr ein beträchtliches Vermögen einbrachte. Der Charakter dieser Frau ist von einer Durchtriebenheit und Kälte, wie ich es in meiner gesamten Laufbahn noch nicht erlebt habe.«
    Bald darauf schloss sich knarzend die Tür der Zelle, in der Sophie Ursinus die nächsten 30 Jahre verbringen sollte. Reglos stand sie mitten im Raum und lauschte den verklingenden Schritten des Gefängniswächters. Wie still es plötzlich war. Es war diese Art von Stille, die sich alsbald in Beklemmung verwandelte. Sie trat an das winzige vergitterte Fenster, das sanftes Licht in die Zelle warf. Ganz oben in der Festung musste sie sich befinden, denn sie konnte von dort aus das gesamte Glatzer Bergland überblicken. In der Ferne schimmerte die Neiße in der Abendsonne. Sophie seufzte, löste die Bänder ihrer Spitzenhaube und ließ diese achtlos aufs schmale Bett fallen. Erstmals betrachtete sie den Raum näher. Staubig und geradezu jämmerlich spartanisch erschien er ihr mit dem wackeligen Stuhl, einem Schreibtisch und diesem wurmstichigen Spind. So konnte sie keinesfalls leben! Bei nächster Gelegenheit würde sie um einen Kehrbesen, ein wenig gute Literatur und Schreibutensilien bitten.
    Die Tage kamen und gingen. Als ihr die hoffnungslose Situation allmählich bewusst wurde und höchstens das Huschen einer Maus oder das Klopfen ihres Herzens die Stille durchschnitt, verbrachte sie den Großteil des Tages damit, aus dem Fenster zu starren. Dann war er plötzlich da, ihr wunderbarer Hauptmann Ragay, mit seiner aufrechten Haltung, den zärtlichen Händen und dem geistreichen Wesen. Er stand wieder vor ihr, lächelte und forderte sie mit einer kleinen Verbeugung zum Tanz auf. Wie durch ein Schnippen ihrer Finger erklangen die Töne einer Laute, sie spielte eine Sarabande. Ragay zog seine Sophie so besitzergreifend, so unanständig eng an sich, dass sie hell auflachte. Die Lichter vieler Kerzen spiegelten sich in seinen braunen Augen wider. Aus ihnen sprach all die Liebe, die in Worte zu kleiden er nie imstande gewesen war. Ihre Körper und Bewegungen passten sich harmonisch aneinander an, waren sie nicht wie füreinander geschaffen? Sophie schlang den Arm um seinen Nacken, küsste ihn innig und mit all der Inbrunst, die ihnen von dem leidigen Umstand ihrer Ehe die meiste Zeit verwehrt geblieben war. Im

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