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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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beides nicht gegessen, sondern beobachtet, wie Sie den Reis in den Abtritt warfen, ein Umstand, der ihm merkwürdig vorkam. Schließlich brachten Sie ihm eine Schale mit gebackenen Pflaumen. Ihr Diener hat Ihre Kammerjungfer Fräulein Schley damit zwecks Analyse zu einer Apotheke geschickt, in der ein Bruder der Zofe arbeitet. Dort wurde Gift festgestellt und später durch Herrn Geheimrat Warsing Anzeige gegen Sie erstattet.« Der Richter schlug mit der flachen Hand auf das Pult. Seine Stimme hallte bis in den letzten Winkel des Saales. »Ich frage Sie, Frau Ursinus: Warum sollte Herr Klein sterben? Ahnte er, woran sein Herr wirklich dahingeschieden war an jenem Nachmittag des ii. September 1800? Oder hatten Sie die Befürchtung, Ihr Diener würde Sie verlassen und Ihre Schwächen und Geheimnisse ausplaudern? Herr Klein genoss Ihr Vertrauen, wie er angab. Vielleicht dachten Sie, er könne Sie vor der Gesellschaft lächerlich machen, wenn er erst einmal nicht mehr in Ihren Diensten stand! Haben Sie ihm deshalb das Gift verabreicht?«
    Haltlos sackte Sophie in sich zusammen und schluchzte. Ihr ausdrucksvolles Antlitz war tränenüberströmt, ihre Schultern zuckten, als sie mit erstickter Stimme antwortete: »Ja, das habe ich getan. Warum, vermag ich nicht zu sagen. Daran sehen Sie, wie es nervlich um mich bestellt ist. Am Tod von Herrn Ragay, meiner Tante und meines Mannes trage ich jedoch keine Schuld.«
    »Nähere Aufschlüsse wird eine Exhumierung der Leichname ergeben«, knurrte der Richter. »Ich habe sie bereits angeordnet.«
    Einige Wochen vergingen, dann wurde Sophie Ursinus erneut in den Gerichtssaal geführt. Inzwischen schrieb man den 12. September.
    »Was hat Ihre Untersuchung von Theodor Ursinus und Frau Witte ergeben?«, wollte der Richter von den Obduzenten der beiden Leichname wissen.
    Einer der Mediziner erhob sich. »Schon bei der ersten Schau fielen die krampfartig zusammengezogenen Hände, Füße und Zehen der Leichname sowie das Fehlen von Fäulnismerkmalen auf. Die Toten zeigten eindeutige Anzeichen einer Arsenikvergiftung.«
    Ein Ausruf des Entsetzens aus vielerlei Mündern wurde laut. Die Abscheu, die in den Mienen der Anwesenden zu erkennen war, hinterließ ein Brennen in Sophies Innerem.
    »Vielen Dank, Herr Medizinalrat«, erwiderte der Richter. »Aufgrund dieser Erkenntnisse ordnete der Physikus unverzüglich weitere Untersuchungen an, für die wir den allseits geachteten Chemiker Herrn Martin Heinrich Klaproth sowie einen Assistenten gewinnen konnten. Zu welchem Resultat sind Sie gekommen, Herr Klaproth?«
    Die Angeklagte erstarrte. Ihr Puls raste, als sich der Angesprochene zu voller Größe aufbaute und ihr einen raschen Blick zuwarf. Wer würde ihr noch Glauben schenken, wenn sich dieser berühmte Chemiker erst ihres Falles annahm?
    »Unsere Analyse ergab keinerlei Anhalt für eine Arsenikvergiftung, da die Spuren dieser Substanz nach mehreren Jahren nicht mehr nachweisbar sind.«
    Um die Mundwinkel der Angeklagten zuckte es.
    »Allerdings fanden wir in Magen und Darm sowohl bei Herrn Ursinus als auch bei Frau Witte pathologische Veränderungen, die dennoch auf eine Vergiftung schließen lassen könnten.«
    Erwartungsvolle Stille setzte ein. Der Richter wandte sich der Bank mit den drei Ärzten der Familie Ursinus zu, die damals eine natürliche Todesursache festgestellt hatten. »Herr Medizinalrat Formay, was können Sie uns zu diesem Gutachten der Herren Klaproth und Rose sagen?«
    Der Arzt erhob sich. »Meine verehrten Kollegen und ich bleiben bei unserer damaligen Diagnose. Theodor Ursinus starb an einem Nervenschlag. Es gab keine Anzeichen einer Vergiftung.«
    Sichtlich unzufrieden schob der Richter seinen Stuhl zurück. »Dann zieht sich das Gericht jetzt zur Beratung zurück.« Mit wehender Robe verließ er den Saal.
    Bange Momente folgten. Sophie Ursinus' Blicke schweiften über die Zuschauerreihen. Viele der Männer und Frauen - nicht wenige aus den besseren Kreisen Berlins, in denen auch sie noch vor einem halben Jahr verkehrt hatte - maßen sie abschätzig. Ganz vorn hockten die Reporter, schrieben eifrig und zeichneten ohne erkennbare Regung ihr Konterfei. Was würde morgen in der Vossischen Zeitung und den anderen Blättern zu lesen sein? ›Die Ursinus als Giftmörderin verurteilt!‹? Gesprächsfetzen der Zuschauer drangen bis zur Anklagebank herüber. Sie feixten hinter vorgehaltener Hand und betrachteten sie mit einer Unverfrorenheit, die ihr das Blut in die Wangen

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