Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Unzählige Freunde und Bekannte folgten dem Sarg mit der Verstorbenen zum Kirchhof. Ihre Grabstelle war übersät mit Tulpen, Moosen und Immortellen. Trauernde wischten sich Tränen aus den Augenwinkeln und der Geistliche hielt eine zu Herzen gehende Rede über die Wohltaten der Sophie Ursinus. Sechs arme Knaben und sechs arme Mädchen, die zu ihren Lebzeiten von ihr versorgt worden waren, sangen ein Abschiedslied am offenen Grabe.
»So ruhe wohl, Gott hat an dich gedacht und es sehr wohl gemacht. Schlaf, müder Leib! Schlaf wohl, zu guter Nacht, weil Jesus dich bewacht. Verschlaf die hier erlitt'nen Schmerzen, du stehest fest in unserm Herze. So ruhe wohl.«
Sophie Ursinus hinterließ ein beträchtliches Vermögen, wovon sie mit juristischer Akribie lediglich die Hälfte an entfernte Verwandte vererbte. Mit der anderen Hälfte unterstützte sie unter anderem fromme Stiftungen. Der Hauswart der Vogtei beispielsweise, der sie als Gefangene freundlich und schonend behandelt hatte, erhielt von ihr 500 Taler, auch andere Bedienstete wurden großzügig von ihr bedacht. Dieselben guten Leute jedoch kamen nicht umhin, sich immer wieder im Geheimen zu fragen: Wollte die Frau Geheimrätin mit diesem Verhalten ihren Namen reinwaschen, damit man sich ihrer stets nur in Dankbarkeit erinnerte? Hatte sie die drei Morde tatsächlich begangen oder war sie nur ein Opfer durch mangelnde Beweise ihrer Unschuld? So erreichte Sophie Ursinus, dass ihr Name auch nach ihrem Tod in aller Munde blieb.
Dem Medizinalassessor Rose, der dem Chemiker Klaproth damals bei den Untersuchungen der obduzierten Leichname assistiert hatte, ließ dieser Fall ebenfalls keine Ruhe. Denn nur aufgrund der mangelnden Nachweislichkeit des Arseniks war das Urteil für die Ursinus derart milde ausgefallen. Die Medizin steckte in einer Misere und er gedachte, dies für die zukünftigen Prozesse zu ändern. Im Jahre 1806 gelang es ihm schließlich, ein Nachweisverfahren für dieses Gift zu entwickeln. Doch erst 1832 wurde durch die ›Marsh'sche Probe‹ ein hundertprozentiger Attest möglich.
Quellenhinweise: ›Projekt Gutenberg‹ (Online Artikel), ›Historische Serienmörden (Verlag Das neue Berlin), ›Geheimrätin Ursinus-Eine Berliner Giftmischerin‹ (Michael Kirchschlager)
Ella Danz
Die Rolle seines Lebens
G ESTERN A BEND BEIM K OLLEGENSTAMMTISCH im ›Max&Moritz‹ hatte er von dem Projekt erfahren. Irgend so ein blutjunger Angeber hatte es ausgeplaudert, war mächtig stolz auf seine Insiderinformationen. Wie konnte man nur so bescheuert sein? Falbinger wäre für ein neues Projekt in der Stadt, das hätte er aus sicherer Quelle. Falbinger! War dem Typen nicht klar, dass jeder von ihnen für einen Job bei Falbinger Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde? Er jedenfalls hatte sofort gewusst, das war seine Chance. Es war noch inoffiziell, angeblich war kaum jemand informiert - umso besser! Er kannte die Branche. Das Heer der Konkurrenten war unüberschaubar, auch wenn er sich selbstverständlich für den Besten hielt. Man musste schnell handeln und der Erste sein, der sich bewarb.
Er hatte sich bald von den anderen verabschiedet, war nach Hause gehetzt und hatte trotz der späten Stunde sofort begonnen, sich minutiös auf seinen Coup vorzubereiten. Er sammelte alle Argumente, die für ihn sprachen, hielt sie schriftlich fest. Dann übte er Mimik, Gestik und Tonlage ein, mit denen er sie vortragen wollte, bis er überzeugt war, dass man ihm nicht widerstehen konnte. Er war der Richtige, der Einzige für diese anspruchsvolle Aufgabe! Als er alle Unterlagen zusammengepackt und seine Garderobe zusammengestellt hatte, fiel er weit nach Mitternacht erschöpft, aber siegessicher ins Bett.
Voller Elan machte er sich am frühen Vormittag auf den Weg. Im Treppenhaus lief ihm - blond und rosig wie stets - Beate Grüning über den Weg. Was machte die schon wieder hier? Kam sie vielleicht immer seinetwegen? Langsam wurde es ihm zu viel. Beinahe täglich hatte er sie in den letzten Wochen getroffen. Natürlich fragte sie, was er vorhatte, vor allem, weil ihr seine sorgsam gewählte Aufmachung aufgefallen war. Leider konnte er nicht riskieren, ihr allzu deutlich seine Abneigung zu zeigen. Trotzdem machte er ihr schnell klar, dass er keine Sekunde Zeit hatte.
»Ich habe einen wahnsinnig wichtigen Termin. Falbinger ist in der Stadt.«
Erwartungsgemäß war sie tief beeindruckt.
»Ehrlich? Ein Termin mit Falbinger!«, wiederholte sie ehrfürchtig.
Na ja,
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