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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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persönliche Note zu verleihen, litt, gingen mehrere Büros ab. In einem davon, das als Empfang diente, erklärte ein etwa dreißigjähriger bebrillter Polizeimeister einer offensichtlich ortsfremden Dame den Weg nach Dümmerlohhausen. Er taxierte Lorinser und fragte schließlich nach seinem »Begehr«.
    »Der Alte vom Berg? Nein, darüber kann ich Ihnen so gut wie nichts sagen. Aber warten Sie mal.« Er wandte sich um und rief in den Raum hinein: »Heiner, komm doch bitte mal nach vorne. Hier wird deine Nummer verlangt.« Sich wieder Lorinser zuwendend. »Der Kollege Bossen kennt den Betrieb hier seit Ewigkeiten.«
    Heiner Bossen schob sich mit imposanter Bedächtigkeit heran. Mittelgroß, gedrungen, die Uniformjacke geöffnet. Im Ausschnitt ein grauer Pullover. Die Pfirsichhaut seines Gesichtes war von unendlich vielen Adern gesprenkelt, die Nase ein klobiger, violett changierender Zinken, eingehüllt in eine von Porenkratern übersäte Haut, aus der sich wie von Silikon aufgepumpte Lippen stülpten. Ein Freund von Traurigkeit schien der Hauptkommissar jedenfalls nicht zu sein. Er streckte Lorinser die gut gepolsterte Rechte entgegen. Sein Doppelkinn wackelte bei jedem Nicken, mit dem er die Fragen des jungen Beamten quittierte.
    »Nee, nee, das ist wieder mal einer seiner dämlichen Streiche«, erklärte Bossen mit der Gewissheit eines Platzhirschs, der auch die letzten Seelenfalten seiner im Revier lebenden Schützlinge zu kennen vermeint. »Das Thörstchen ist keiner von der Sorte. Der muss ständig beweisen, was er für ein toller Hecht ist. Und Hollenberg? Nee, nee, der Johannes ist ganz schön genarrt worden, der arme Hund.«
    Er war nicht nur im Besitz der Wahrheit, er wusste also auch über den aktuellen Stand des Falles Bescheid. Offensichtlich hatten die Streifenbeamten bereits die Buschtrommel gerührt.
    Bossen führte Lorinser in den hinteren Bereich des Reviers. Ein mittelgroßes Büro, auf dem Schreibtisch Bildschirm und Tastatur, an der Wand ein Messtischblatt der Gegend und wie im Vorraum großformatige hinter Glas gesperrte Fotos mit Wüstenmotiven. Eines zeigte den braun gebrannten Bossen auf einem prächtig aufgezäumten Kamel vor einer gigantisch hinter ihm aufragenden Sanddüne posierend. An den weißen Wänden Schränke und Regale voller Akten. Zwei Fenster, durch die grelles Sonnenlicht hineinflutete. Wetter wie im April.
    Lorinser nahm auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz. Bossen fingerte eine brennende Zigarre aus dem Reklameascher und lehnte sich zurück.
    »Sie werden sehen«, sagte er gereizt, »bald taucht der Schubiak wieder auf und lässt sich als großen Helden feiern!«
    »Ich kann nach Hollenbergs Aussage schlecht zur Tagesordnung übergehen.«
    »Glauben Sie mir, Johannes hat ’ne Macke, werter Kollege. Und zwar ’ne ganz ordentliche.« Er tippte sich an die Stirn. Asche pulverte auf seine Jacke. »Die ganze Familie hat’s ein bisschen hier oben. – Sind Sie aus Richtung Osnabrück hergekommen?«
    »Ja, über Stemshorn.«
    Heiner Bossen nickte ihm aus der Höhe seiner in über dreißig Jahren gesammelten Erfahrung zu. »Ein paar hundert Meter vor der Abfahrt gab’s mal ein Gasthaus. Da hätten Sie bis vor einem Jahr ein spätes Mädchen entdecken können, die Margarete, das tüddelige Ding. War die ältere Schwester vom Johannes. Saß Tag für Tag von früh bis spät auf den kalten Steinen und wartete. Wartete auf ihren Verlobten, der um sechzig herum mit seiner Horex gegen einen Baum gefahren ist.« Die Zigarrenhand berührte zumzweiten Mal die Stirn, aber dieses Mal regnete es keine Asche. »Als die Nachricht von seinem Tod kam, hat sie das einfach nicht wahrhaben wollen. Sie ist immer wieder zu dem Gasthaus gegangen, wo die beiden sich immer getroffen hatten. Weder Reden noch das Grab, das man ihr zeigte, haben sie davon abgebracht. Lief dahin, weil sie sicher war, dass er sie da wieder abholen wird.« Bossen tippte sich zum dritten Mal an die Stirn. Schien bei ihm eine Art Tick zu sein, wenn nicht gar der Hinweis auf das Intaktsein der eigenen grauen Zellen. »Das ging Jahrzehnte so. Sie gab einfach nicht auf, die Margarete bis … na ja, bis sie dann endlich gestorben ist im letzten Sommer.«
    »Das sind ja Geschichten …«
    »Tja, so ist das nun mal, wenn da oben was kaputtgeht.« Die Hand ging wieder zur Stirn. »Der Johannes ist auch ein bisschen daneben. Familienerbe, verstehen Sie? Aber glauben Sie nicht, dass ich mich darüber lustig machen will. Ich will

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