Bitteres Blut
des Alten zur Bevölkerung und seinem Verwalter Kröger.
»Ich glaube«, fuhr er fort, »seine Anschuldigung muss vor diesem Hintergrund verstanden werden. Wäre er im Besitz von Informationen, mit denen er Kröger schaden könnte, hätte er sie längst preisgegeben. Es sei denn, er wäre irgendwie in die Tat verstrickt.«
»Er ist immerhin der Letzte, der das Opfer lebend gesehen hat«, sagte Hildebrandt.
»Oder tot«, warf Streckenbach wie im Halbschlaf ein.
»Was auch möglich ist«, sagte Hildebrandt. »Aber laut Ihren Notizen, Kriminalobermeister, haben Vater und Sohn miteinander gestritten. Damit ist nicht auszuschließen, dass es zwischen ihnen zu Handgreiflichkeiten gekommen ist. Der alte Mann greift zu einem Gegenstand, schlägt im Affekt zu und … damit wäre die Schädelverletzung plausibel.«
Lorinser schüttelte entschieden den Kopf.
»Ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass der Alte – er ist fünfundachtzig! – die Kraft hat, eine Leiche aus dem Haus zu schaffen, ins Auto zu hieven und sie dann an eine Stele zu hängen. Der Junge wiegt um die achtzig Kilo! Ich bin nicht gerade schwächlich, aber ich glaube nicht, dass ich es so ohne Weiteres schaffen würde.«
»Ihre Selbsteinschätzung in allen Ehren, aber der alte Mann muss erstens nicht alleine gehandelt und kann zweitens technische Hilfsmittel verwendet haben, nicht wahr?«
Durch die offenen Fenster drang zwar ein laues Lüftchen, aber der kühle Wind, der mit Hildebrandts kritischen Worten heranwehte, ließ die Raumtemperatur deutlich sinken.
»Das unterstellt, könnte er es natürlich geschafft haben«, sagte Lorinser ziemlich lahm und mit dem Gefühl, sich eine Blöße gegeben zu haben. Eine Blöße, die Hildebrandt gnadenlos nutzte.
»Darf ich Sie darauf hinweisen, Kriminalobermeister, dass Sie als Kriminalist zu solchen Unterstellungen verpflichtet sind? Dient nämlich der Wahrheitsfindung«, fügte sie unter beifälligem Nicken Timmermans bissig hinzu.
»Wenn Sie meinen …«
»Ja, das meine ich. Bleibt die Frage des zeitlichen Ablaufs. Was haben Sie insoweit herausgefunden?«
Lorinser blickte auf seinen Zettel. Die Lagebesprechung, fand er, hatte sich unversehens zu einer Art Tribunal entwickelt, vor dem er sich zu rechtfertigen hatte. Aber auch wenn er innerlich kochte, bewahrte er die Ruhe. »Böse behauptet«, sagte er kühl, »sein Sohn sei kurz vor Mitternacht eingetroffen. Er sei ihn um Geld angegangen, habe auch zweihundertfünfzig Euro gegen einen Schuldschein erhalten und sei um Punkt null, wie er sich ausdrückte, wieder verschwunden. Er wisse den Zeitpunkt so genau, weil die Uhr in der Diele geschlagen habe. Dagegen steht jedoch die Aussage der Simmerau. Sie hat den Abend mit dem Jungen auf dem Schützenfest verbracht. Sie ist sicher, die kurz vor Mitternacht ausgestrahlte Nationalhymne im Deutschlandradio gehört zu haben, als das Opfer ihr Haus verließ. Trifft ihre Version zu, kann Thorsten erst nach Mitternacht bei seinem Vater gewesen sein, zumal er laut Simmerau noch tanken musste. Aber dieser Widerspruch erklärt sich möglicherweise dadurch, dass Böses Uhr falsch ging.«
»Es gibt noch einen«, sagte Hildebrandt. »Das Opfer verfügte über genügend eigenes Geld auf seinem Konto.«
»Aber deshalb muss die Einlassung des Alten nicht falsch sein. Thorsten hat in dieser Nacht kein Geld abgehoben.«
»Aber abgebucht«, meldete sich Steinbrecher zur Verblüffung aller aus seiner Reglosigkeit. »Die von der Raiffeisengesellschaft haben mit einem Fax bestätigt, dass Böse für zwanzig Euro getankt hat. Bezahlt hat er über den Tankautomaten mit seiner Sparkassenkarte. Laut Beleg um null Uhr achtundfünfzig. Seltsam ist nur, dass Böse so wenige Liter getankt hat.«
»Zumal er fast zehntausend Euro auf dem Konto hatte«, warf Lorinser ein. Er wandte sich an Steinbrecher. »Hast du herausgefunden, ob die Tankstelle per Kamera überwacht wird?«
»Ja. Man hat mir versprochen, uns das Band umgehend zur Verfügung zu stellen.«
»Damit sehen wir dann hoffentlich klarer«, sagte Timmermans. »Was ich mich frage, ist, wieso leiht der Böse sich trotz seines so prall gefüllten Kontos noch von seinem Vater Geld?«
Lorinser hob die Schultern.
»Keine Ahnung, Herr Kriminalrat«, sagte er. »Die Herkunft der Summe liegt auch noch im Dunkeln. Thorsten hat sie vorige Woche in zwei Tranchen bar eingezahlt. Bemerkenswert ist, dass sein Vater das Konto sofort sperren ließ, obwohl er während des ersten
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