Bitteres Blut
Gesprächs behauptete, sein Sohn hätte nicht nur kein Guthaben, sondern sei verschuldet.«
»Wird ja immer mysteriöser. Wie begründete er denn sein Vorgehen?«
»Mit seiner Sorge, die Bankkarte könnte missbraucht werden.«
»Das haben Sie ihm abgenommen?«
»Es klang überzeugend. Der Mann ist nicht nur extrem misstrauisch, sondern auch für seinen nahezu krankhaften Geiz verschrien. Als Kontobevollmächtigter fürchtete er wohl, haftbar gemacht werden zu können. Für mich ist das plausibel, zumal er von Anfang an vom Tod seines Sohnes überzeugt war.«
»Weil er ihn, wie KHK Hildebrandt vermutet, im Streit getötet hat?«
Lorinser hob vage zustimmend die rechte Hand. Aber überzeugt war er nicht. Der Zeuge Hollenberg hatte die Leiche um sechs Uhr zehn am Huntedeich entdeckt, erklärte er. Wie nach dem Auftauchen des Tankbelegs anzunehmen war, hätte der Alte den Körper zwischen eins und sechs aus dem Haus schleifen, in den sicherlich nicht leicht zu beladenen Porsche quetschen und an den Huntedeich transportieren müssen. Bis zur Stele konnte er aber nicht vorfahren, weil der Weg etwa fünfhundert Meter vorher mit einem Metallpfosten versperrt ist. Er hätte die Leiche also diese lange Strecke tragen oder hinter sich herschleifen müssen, ehe er sie mit einem mehr als sehr fraglich erscheinenden Kraftakt an die gut einen Meter achtzig hohe Stele hängen konnte. Spuren der Art seien aber nicht gefunden worden.
»Aber das ist noch nicht alles«, fügte Lorinser nach einer kurzen Pause hinzu. »Danach war er gezwungen, den Porsche irgendwo zu verstecken. Er kann also nur zu Fuß nach Hause gekommen sein. Nach einem solchen Kraftakt ist er müde, ist erschöpft. Dennoch soll er zurück zum Deich gefahren sein, wo er die Leiche von der Stele schneidet, sie zum Wagen schleppt, einlädt, um sie nach einer Fahrt von vier, fünf Kilometern in der Güllegrube Krögers zu versenken? Und das alles in höchstens zwanzig Minuten?«
»Wie kommen Sie auf die Zeitspanne?«, fragte Timmermans.
Lorinser bat um die Akte. Hildebrandt schob sie ihm zu.
»Laut Protokoll«, sagte er, als er die Vernehmungsniederschrift gefunden hatte, »hat Hollenberg Thorsten Böse um sechs Uhr zehn entdeckt. Er hat sich höchstens fünf Minuten am Tatort aufgehalten und zwanzig Minuten gebraucht, um zu telefonieren. Um sechs Uhr fünfunddreißig hat er das Verschwinden der Leiche festgestellt. Wenn berücksichtigt wird, dass er freie Sicht hatte, hätte er den Abtransport der Leiche schon einige Minuten vor dem Eintreffen erkennen müssen. Hat er aber nicht. Also bleiben die zwanzig Minuten.«
»Das könnte trotzdem gereicht haben.«
»Nicht für einen alten Mann, der die beschriebenen Hindernisse zu überwinden hat.«
»Selbst dann nicht, wenn er die Sperre mit einem Schlüssel hätte öffnen können? Als Anlieger wird er sicherlich welche haben.«
»Damit hätte er es sicherlich leichter gehabt, aber … der Porsche seines Sohnes ist um sechs Uhr fünfundfünzig im Ortsteil Brockum gesehen worden. Besetzt mit möglicherweise zwei lebenden Personen. Und Wolfhardt Böse selbst habe ich etwa fünfzehn Minuten später in seinem Haus in Stemshorn vorgefunden. Er sah zwar zerknittert aus, aber ich meine deshalb, weil ich ihn aus dem Bett geklingelt habe.«
»Tja«, sagte Hildebrandt nach einigen Sekunden des Schweigens, »dann können wir die Frage einer Affekthandlung Bösesmit anschließendem Versuch, die Leiche zu beseitigen, wohl als vorläufig ausreichend beantwortet abhaken.«
In dem Blick, mit dem sie Timmermans bedachte, lag wie bei einem lang vertrauten Ehepartner die Gewissheit der Zustimmung des anderen, fand Lorinser. Er grinste denn auch, als seine Vermutung sich bestätigte und der Herr Kriminalrat sich nach einem kunstvollen Looping seines Bleistiftes der Meinung Hildebrandts anschloss. Möglicherweise nicht nur wegen der besonderen Nähe zu ihr, sondern weil sein Blick in die Ermittlungsakte eben nur ein Blick gewesen war. Ein wenig ratlos schien er obendrein auch zu sein.
Nicht so Hildebrandt. Sie schien entschlossen, dem tristen Tal der Alltagsdelikte zu entkommen, um auf den erhabenen Höhen des neuen und bedeutsamen Falles die Führung zu übernehmen. Und sie übernahm. »Ich denke«, sagte sie, »wir sollten die Besprechung an dieser Stelle abbrechen und auf morgen vertagen. Erstens wissen wir nicht, ob überhaupt eine Straftat zugrunde zu legen ist … insoweit wird uns hoffentlich die Rechtsmedizin
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