Bitteres Blut
trau mich aber nicht, weil ich meinem Können bei einer Leiche, die einige Zeit in von Fettsäuren, Ammoniak und Stickstoff gefütterter Gülle lag, misstraue. Insoweit werden Sie die Untersuchungen abwarten müssen. – Sonst noch sachdienliche Fragen?«
Offensichtlich genoss er seinen Auftritt. Hildebrandt hob den Kopf und sah aus, als wollte sie noch eine anbringen, unterließ es aber mit einem resignierenden Seufzen. Auch Timmermans winkte ab. Steinbrecher hob noch nicht mal den Kopf, als der Arzt seinen Stuhl geräuschvoll zurückschob und den Raum mit fröhlichem Gruß verließ. Lorinser schenkte sich Kaffee ein und hätte ihn am liebsten wieder ausgespuckt, als die lauwarme und bittere Brühe sein Gesicht zerknitterte.
»Tja«, machte Timmermans in einem Ton, als wollte er eine Gerechtigkeitslücke füllen, »dann sollten wir hören, was unser Neuzugang zur Sache zu sagen hat. Hartnäckigkeit haben Sie ja zur Genüge bewiesen, wie ich mit Freude feststellen konnte, Herr Kriminalobermeister.«
Lorinser schob die Tasse zurück.
»Einen schriftlichen Bericht kann ich nicht vorlegen«, sagte er und bemerkte, wie Hildebrandts Rücken sich versteifte. »Ich hatte bisher auch keine Zeit, die Ergebnisse zusammenzufassen. Was an Material vorhanden ist, befindet sich als Original in der Akte, die Frau Hildebrandt vor der Besprechung an sich genommen hat. Die Kopie habe ich Ihnen überlassen, Herr Kriminalrat. Aber ich denke, meine Notizen zum Fall reichen aus, das bis dato ermittelte Material, das Personen bezogene Beziehungsgeflecht Böses und die sich daraus ergebenden Ermittlungsansätze darzustellen.«
»Ich denke, wir sind trotz der in der Tat noch unvollständigen Akte ganz gut im Bilde«, sagte Hildebrandt mit einem Blick auf Timmermans. »Wir sollten uns auf die Ermittlungsansätze konzentrieren, die mit dem Fundort beziehungsweise dem Besitzer desselben in Zusammenhang stehen.« Sie schlug die Akte auf. »Sie haben in Ihrem Protokoll festgehalten, der Eigner der Güllegrube sei von dem Vater des Opfers, diesem Wolfhardt Böse, der Tat beschuldigt worden …«
»Das ist richtig.«
Hildebrandt fand das Blatt, fuhr mit dem Kugelschreiber über die Seite. »Er forderte Sie auf, sich schleunigst einen Durchsuchungsbefehl für Krögers Besitz zu besorgen.«
Drohte da jemand mit seiner versteckten Artillerie?
»Ja, hat er«, sagte Lorinser, entschlossen, sich nicht in die Rolle des Handlangers drängen zu lassen. »Außerdem die Verhaftung Krögers, seine sofortige Überstellung an das Jüngste Gericht und einen Haufen mehr solcher Sachen, die einem alten Herrn im Zorn entschlüpfen.«
»Mit einem Wort, Sie haben den Hinweis nicht ernstgenommen?«
»So ernst jedenfalls, dass ich ihn ordnungsgemäß protokolliert und, wie Sie sich überzeugen können, unter Ziffer 2 in der Spurenakte abgelegt habe. Für einen Antrag auf Durchsuchung reichte er mir allerdings nicht. Damit wäre ich hier vermutlich wohl auch nicht auf viel Gegenliebe gestoßen.«
»Ja, da haben Sie wohl recht«, sagte Hildebrandt so sanft, als spräche sie mit ihrem Sprössling, der wider Erwarten seine Hausaufgaben ordentlich gemacht hat. »Es war übrigens nicht meine Intention, Ihre Arbeit zu hinterfragen, Herr Kriminalobermeister. Ich hebe auf die Frage ab, ob der alte Böse seine Anschuldigung lediglich aus der Luft griff oder – was für die weiteren Ermittlungen von größter Bedeutung wäre – über konkretes Wissen verfügt hat.«
Timmermans hob interessiert den Kopf. »Und wie ist Ihre Einschätzung?«
»Der Alte führt seit Jahrzehnten einen verbissenen Krieg gegen Kröger«, sagte Lorinser. »Er ist überzeugt, von seinem ehemaligen Verwalter betrogen worden zu sein. Er hat ihn entlassen, hat eine Reihe von Prozessen gegen ihn angestrengt und geführt, die so gut wie alle gescheitert sind. Ich weiß nicht, ob er unter einer besonderen Form des Altersstarrsinns leidet, aber sicher bin ich, dass er dem Mann so gut wie alles zutraut, ihn aus tiefster Seele hasst und jede Gelegenheit zur Vergeltung nutzt.«
»Was sagt Kröger dazu?«
»Wir haben ihn nicht angetroffen.«
Mit wenigen Worten schilderte Lorinser die ihm bekannte Geschichte der Familie Böse. Er umriss deren herausragende Stellung bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten, den Verfolgungsdruck danach, die Flucht über Frankreich nach Portugal, die Rückkehr mit den siegreichen Alliierten und das von Misstrauen und Vorbehalten geprägte Verhältnis
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