Bitterfotze
nehme an, wir wollten testen, wie es sich anfühlt, genauso freizügig und großmäulig wie die Jungs zu sein. Wir hatten unheimlich viel Spaß, lachten ordinär und fanden uns toll und hassten all die schweigsamen, geheimnisvollen Mädchen, um die die Jungs sich lieber scharten.
Kein Wunder, dass es nie klappte.
Es klappte nur einmal, und ihn habe ich geheiratet. Johan war der Erste, der lachte, als ich ihn fragte, ob er einen warmen pochenden hätte. In meinem berauschten Übermut interpretierte ich sein Lachen als Einladung.
»Komm, lass uns ein bisschen knutschen«, sagte ich und drückte ihn an die Wand. Er hatte keine Angst und erwiderte freudig mein Knutschen. Später verloren wir uns im Gewühl, als wir etwas zu trinken kaufen wollten, und ich ging mit einem Kommilitonen nach Hause und übernachtete in seinem Studentenheimzimmer.
Aber plötzlich, zwei Tage später, stand Johan in der U-Bahn neben mir. Es war noch nicht sehr spät, und dieses Mal sagte ich nur Hallo.
»Hallo!«, sagte er und lachte mit dem ganzen Gesicht, seine Augen blitzten.
Es stellte sich heraus, dass er auch in Sandsberg wohnte, und wir redeten über die merkwürdige Wohnung, in der er zusammen mit einem Freund zur Untermiete wohnte und die ein ehemaliges Bordell zu sein schien. Mitten in der Nacht riefen schleimige Männer an, und zur Einrichtung gehörten mit rotem Samt bezogene Betten und Bilder mit erotischen Motiven.
Ich erzählte von meinem Haus, wo im Treppenhaus oft ein alter Mann pinkelte, wenn ich nachts nach Hause kam. Wie er mit der einen Hand seinen Penis hielt und höflich die andere zum Gruß erhob.
Dann war die U-Bahn am Ziel, und wir sagten, Tschüs, bis bald vielleicht. Ja, vielleicht.
Manchmal glaube ich wirklich, dass die Welt voller Magie ist, oder ist es Schicksal? Denn danach verging kein Tag, ohne dass wir uns in der U-Bahn getroffen hätten. Entweder mitten in der Nacht auf dem Heimweg von einer Kneipe oder früh am Morgen, wenn ich zu einer Vorlesung fuhr.
Schließlich lud ich ihn zu mir nach Hause ein, zu Rotwein und einer Quiche. Und zu meinem großen Erstaunen schien er sich immer noch nur zu freuen und keine Angst zu haben.
Wir redeten und tanzten in meiner kleinen Einzimmerwohnung, und mitten in der Nacht gingen wir ins Treppenhaus, um zu sehen, ob wir den pinkelnden Mann fanden. Aber alles war still und dunkel, und wir gingen zurück zu meinem Bett, legten uns in Löffelchenstellung hin und schliefen ein. Ich wachte davon auf, dass Johan mich mit seinen schönen braunen Augen anschaute, und da musste ich ihn einfach küssen. Und er hatte immer noch keine Angst.
Als er gegangen war, schrieb ich in mein Tagebuch, dass ich ihn heiraten würde. Und wenn ich überhaupt je Kinder bekommen würde, dann mit ihm.
Am nächsten Tag wachte ich mit Fieber auf, und Johan kam nach der Arbeit mit Mandarinen, Sprudelwasser und Süßigkeiten vorbei. Er kroch neben mir ins Bett und zog die Decke über uns. Wir blieben drei Tage lang im Bett und lebten von den Mandarinen, den Süßigkeiten und Knäckebrot. Am vierten Tag waren wir so ausgehungert, dass Johan loslief und ein gegrilltes Hühnchen und Pommes frites holte, das wir ganz schnell aßen, um dann wieder unter die Decke zu kriechen.
Das ist jetzt mehr als zehn Jahre her. Eine Ewigkeit. Ich weiß nicht, wer ich damals war, und ich bin nicht sicher, dass ich weiß, wer ich heute bin. Den größten Teil meines erwachsenen Lebens habe ich zusammen mit Johan verbracht. Ein Leben voller Träume, Sehnsüchte, Wünsche und Enttäuschungen. So miteinander verbunden, dass ich nicht mehr unterscheiden kann, was Sehnsucht und was Enttäuschung ist. Ich weiß nur, dass es voller emotionaler Schmutzflecke ist.
Deshalb lese ich so gerne über Isadoras Verwirrung. Ich fühle mich dann nicht so alleine. Isadora sehnt sich und begehrt Adrian und tut alles, damit Bennett verschwindet. Lässt keine Gelegenheit aus, um mit Adrian zu knutschen, und ist gleichzeitig voller Schuldgefühle gegenüber Bennett.
Wenn es wirklich funktionieren würde mit dem Spontanfick, Begegnungen, die niemanden verletzen, dann könnte ich es mir vielleicht vorstellen. Wenn man in aller Freundschaft offen darüber reden könnte. Ich weiß auf jeden Fall, dass ich immer noch andere Männer begehre, obwohl ich Johan jetzt seit mehr als zehn Jahren liebe. Dass es möglich ist, auch für andere Gefühle zu haben. Auch wenn ich jetzt, hier und jetzt auf Teneriffa, nur das Alleinsein und das Schlafen
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