Bitterfotze
Kinder zu erziehen, aber wenn man auch noch die Männer erziehen soll, nein, das ist zu anstrengend!«, schloss Suzanne.
Und plötzlich glaubte ich zu verstehen, wie sie das Ganze sah. Es ging um die alte ehrbare Kluft zwischen privater Praxis und universeller Theorie. Der Kluft zwischen Struktur und Individuum. Gekrönt mit ein wenig Resignation.
Als ich in mein Hotelzimmer in Nyhavn zurückkehrte, war ich wieder gut gelaunt. Mein Verhalten und meine Erwartungen waren mir immer noch ein bisschen unangenehm, aber dennoch kam ich mir großherzig vor. Wie hatte ich glauben (fordern!) können, sie könne mir alles servieren?! Suzanne Brøgger hatte wohl das Recht, sich zurückzuziehen und ihr Leben zu leben, mit all den widersprüchlichen Gefühlen, die eine Zweierbeziehung mit sich bringt. Wie unglaublich peinlich, dass ich es gewagt hatte, beinahe beleidigt zu sein, weil sie Dankbarkeit empfand!
Ich gehe wieder in mein Hotelzimmer auf Teneriffa, sitze ein Weilchen auf dem Balkon und atme die Morgenluft ein. Es ist heute bewölkt, und ich beschließe deshalb, mit dem Bus in die Stadt zu fahren, wo der Reiseveranstalter einen geführten Spaziergang anbietet.
Im Bus sitzt ein Paar neben mir. Sie sprechen nicht miteinander. Sie schaut in eine Broschüre, er schaut geradeaus. Plötzlich dreht er den Kopf und sieht sein Spiegelbild im Busfenster.
»Oh, meine Frisur ist hin«, sagt er lachend und fährt sich mit den Fingern durch das Altmännerhaar.
Die Frau gerät über diese mögliche Kommunikationsbereitschaft so außer sich, dass sie hysterisch lacht. Ein ermunterndes, aber irgendwie hohl glucksendes Lachen. Sie wendet sich uns anderen im Bus zu, um zu sehen, ob noch jemand diese humoristische Großtat bemerkt hat, aber niemand scheint den Witz verstanden zu haben.
Sie lacht noch lauter und man versteht, wie ungewöhnlich es in ihrer Welt sein muss, dass ihr Mann aus seiner Verschlossenheit herauskriecht und einen Scherz über sich selbst macht. Und man versteht, dass sie, wenn er es schon mal tut, mit einem aufmunternden Lachen zur Stelle sein muss, damit er so lange wie möglich draußen bleibt.
Und tatsächlich, die Bestätigung scheint ihm zu gefallen, sie reden über den Hafen, den man nun von Weitem sehen kann.
Mir tut ein bisschen das Herz weh, denn ich erkenne das Muster von vielen Beziehungen aus meiner Umgebung, inklusive meiner eigenen. Wie Frauen auf Zehenspitzen gehen, sich ständig einfühlen und bereit sind, entweder etwas zu entgegnen oder laut und zustimmend zu lachen.
Und wie viel Kraft kostet das?
Die Psychoanalytikerin Joan Riviere erzählt in ihrem Buch Weiblichkeit als Maskerade aus dem Jahr 1929, wie tüchtige, berufstätige Frauen sich plötzlich dümmer anstellten, als sie waren, sobald Männer in ihre Nähe kamen. Nur damit die Männer sich keiner Konkurrenz ausgesetzt fühlten und die Weiblichkeit der Frauen nicht infrage gestellt wurde. Bis zu einem gewissen Grade stimmt das sicher heute noch, aber hier, im Bus nach Puerto de la Cruz denke ich, dass es heute bei der Maskerade der Weiblichkeit eher darum geht, emotionsgehemmte Männer zu ertragen und so zu tun, als ob alles gut sei, indem man laut über ihre Scherze lacht.
Der Bus hält an einem hässlichen Shopping Center in Puerto de la Cruz und alle warten auf den Stadtführer. Wir gehen los, und ich denke, das tut mir gut und zügelt meinen Stockholmer Snobismus. Ich laufe mit sechzehn frisch gebackenen Rentnern, die alle aussehen, als kämen sie aus dem Campingurlaub. Sie kommen aus Deutschland, aus Göteborg oder Karlskrona und sind eigentlich ganz wunderbar. Sie sehen munter aus bei dem Gedanken, an einem mäßig aufregenden Ereignis teilzunehmen: einem geführten Spaziergang durch Puerto de la Cruz. Ich spüre, wie mein Herz größer wird, und freue mich über die Sonne und dass die Leute so bieder sein dürfen. Es ist ein befreiendes und entspannendes Gefühl.
In unserer Gruppe sind auch zwei dänische Familien mit Kindern. Die Kinder sind etwa zwei Jahre alt, und die Eltern scheinen in meinem Alter zu sein. Die Mütter schieben die Kinderwagen, die dänischen Väter gehen langsam und bleiben immer weiter zurück. Schließlich sind sie ganz hinten, neben mir. Sie scherzen miteinander und schauen die ganze Zeit zu mir herüber, ob ich auch wirklich sehe, was für witzige Kerle sie sind. Aber da ich kaum Dänisch kann, verstehe ich nicht, wie witzig sie sind, sondern ärgere mich eher über ihre typische, ganz
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