Bittersuess
dann schaut sie mich an. „Ihr Mann ist seit Tagen nicht von Ihrer Seite gewichen.“
„Sie hat recht, Nicolas“, ich streichele sanft sein Gesicht. Wieder bin ich erschrocken, wie kaputt er aussieht. „Fahr nach Hause und schlafe dich aus.“
Er will etwas entgegnen, aber dann zuckt er nur mit den Schultern. „Schlafen wäre wirklich mal eine gute Idee.“
„Na, dann komm, Lieblingsschwager“, Jonas zieht ihn hoch und legt einen Arm um seine Schultern. „Morgen kommt übrigens die ganze Meute.“
Nicolas wechselt mit ihm nur einen kurzen Blick , ich frage mich, was das zu bedeuten hat, dann werde ich aber wieder von der Schwester abgelenkt.
„Ich bringe Ihnen gleich etwas zu essen“, erklärt sie mir.
„Ich habe keinen Hunger“, antworte ich wahrheitsgemäß. Mein Hals tut weh, der Gedanke an Essen ist nicht sehr verlockend.
„Versuchen Sie wenigstens eine Suppe. Sie brauchen jetzt Kraft .“
Ich kriege tatsächlich die heiße Flüssigkeit hinunter, während ich esse, beobachte ich meine kleine Tochter, die im Schlaf ein süßes Schnäuzchen zieht.
Dann holt die Schwester sie wieder ab. „Schlafen Sie. Morgen versuchen wir es mit dem Stillen, ja?“
Ich nicke nur und spüre selbst, wie müde ich bin. Eigentlich lächerlich, dabei liege ich ja nur rum, aber die Eindrücke des Tages haben mich geschafft. Ich muss auch erstmal verdauen, dass es mich fast nicht mehr gegeben hätte. Wie schnell so was gehen kann…
Während ich entführt war, habe ich mich damit beschäftigt, bald sterben zu müssen. Doch in der Schwangerschaft habe ich nicht einen Gedanken daran verschwendet. Wie leichtsinnig eigentlich.
Mir steigen die Tränen in die Augen. Ich hätte meine Tochter bald verloren - und mein eigenes Leben. Warum passiert mir nur immer so was?
Ich weine mich leise in den Schlaf. Jetzt bereue ich schon, dass Nicolas nicht mehr da ist. Ich hätte mich sehr gerne an ihm festgehalten.
Doch dann schimpfe ich mit mir für diese egoistischen Gedanken. Er braucht selbst seinen Schlaf…
„Guten Morgen, Frau Molina“, eine freundliche Stimme weckt mich.
Verblüfft schaue ich mich um, ich habe tatsächlich die ganze Nacht verschlafen. Ich blinzele zum Fenster, die Sonne ist schon aufgegangen, es scheint ein schöner Apriltag zu werden.
„Ihre Kleine ist schon wach. Wir bringen Sie Ihnen gleich .“
„Gerne“, ich freue mich schon auf mein Baby. „Aber ich würde mich gerne etwas frisch machen.“
„Natürlich“, sie kommt zu mir und stellt das Kopfteil meines Bettes hoch. „Wir versuchen mal, ob das mit dem Aufstehen klappt, ja?“
Ich nicke und versuche meine Beine aus dem Bett zu kriegen. Al les geht noch total schwerfällig. Mein Bauch ziept ein bisschen, aber was mir mehr zu schaffen macht, ist der Schwindel.
„Geht es?“, fragt sie mich besorgt.
„Ich glaube schon“, antworte ich, aber sicher bin ich mir da nicht.
Das nächste, was ich realisiere, ist, dass ich wieder im Bett liege und mich jemand an die Wange klopft.
„Oh“, sage ich nur frustriert.
„Wir versuchen es heute immer wieder mal. Machen Sie sich keine Gedanken, das ist normal, dass der Kreislauf ein bisschen verrückt spielt. Frühstücken Sie erst einmal.“
Ich zwinge mir das Frühstück tapfer rein, vielleicht komme ich dann eher zu Kräften. Noch einmal soll mir das nicht passieren, denke ich kämpferisch.
‚Wie peinli ch. Das ist wieder typisch für dich.’
Endlich wird Lucia hereingebracht, jetzt ist sie schon deutlich unwilliger als gestern, scheinbar hat sie großen Hunger.
Die Schwester reicht sie mir und zeigt mir, wie ich sie anlegen muss. Doch das ist schwieriger, als ich mir das gedacht habe. Lucia weigert sich zunächst total, meine Brust zu akzeptieren und es dauert sehr lange, bis sie herausgefunden hat, wie sie saugen muss.
Ich bin kurz vorm Verzweifeln, dann klappt es endlich und ich spüre einen leichten Schmerz in meiner Brust.
„Okay, jetzt hat sie es richtig gemacht“, die Schwester atme t erleichtert auf.
„Wird sie denn davon satt werden?“, frage ich sie besorgt.
„Das werden wir sehen. Wir werden sie häufig anlegen, dann reguliert sich der Milchfluss schon von selbst.“
Ich bin erstaunt, wie weh es doch anfangs tut, wenn Lucia beginnt zu saugen. Doch dann ist es auch ein schönes Gefühl und mich durchflutet soviel Liebe für dieses kleine hilflose Wesen.
‚Mein Baby’ , denke ich immer wieder stolz.
Es klopft leise an die Türe und Nicolas kommt ins
Weitere Kostenlose Bücher