BitterSueß
»Immer mit der Ruhe«. Obwohl sie nur wenige Male auftrat – als Putzfrau mit französischem Akzent, den sie gekonnt einsetzte, und die jedesmal eine lakonisch-witzige Bemerkung zum Besten gab – entzückte mich ihre Art und Weise, ihre Bühnenpräsenz.
»Schade, dass diese Frau nicht die Hauptrolle spielt!«, äußerte ich spontan während der Darbietung, und schon da schaute mich Jason verschmitzt von der Seite an, da er ja bereits vorhatte, sie und mich zusammenzubringen!
Was übrigens ihn anging, so spürte ich immer noch ein leichtes erotisches Knistern, aber seit ich wusste, er war glücklich liiert, war er für mich tabu. In zufriedene Beziehungen versuche ich nie einzubrechen. Auch von ihm gingen jetzt kaum noch eindeutig-zweideutige Signale aus; er rechnet sich vielmehr gute Chancen aus, mich endgültig als Autorin für sein Projekt »Schattengold« zu gewinnen, und somit ist auch aus seiner Sicht unsere Beziehung eine rein geschäftliche. Mittlerweile hat er ein paar aktuellere Leseproben aus meiner Feder studiert und mir am Telefon gesagt, er sei wirklich froh, mit mir in Kontakt gekommen zu sein. Ich fragte, weshalb.
»Nun, gerade im Horrorbereich gibt es zu wenig Frauen, die gut schreiben können – dabei finde ich es ganz prima, wenn Autorinnen sich in dieses Genre hineinvertiefen. Ich frage mich oft, wieso das denn noch eine fast ausschließlich männlich dominierte Sphäre ist – ja, und da schätze ich mich eben echt glücklich, dass ich dich jetzt kenne.« Das war seine Antwort, die mich stolz machte, und ich bin eigentlich ziemlich sicher, dass er und ich gut zusammenarbeiten werden. Im Moment zögere ich nur deshalb noch ein bisschen, weil ich so viele andere Sachen im Kopf habe …
… jaaa – auch meine nach wie vor seltsame, diffuse sexuelle Identität. Mein prekäres Sexualleben. Auch wenn das im Augenblick vor lauter Job-und-Weibernest-Geschichten unterzugehen scheint. In meinen Träumen, in meinem Hinterkopf, in anderen Regionen meines Körpers spukt dieses lebenswichtige Thema immer herum wie eine Art geisterhafter Melodie. Wie ein Ohrwurm, den man nicht loswerden kann.
Aber ich schweife ab. Zurück zu meiner ersten Begegnung mit Marie-Louise.
Als wir drei im Theatercafé saßen und uns unterhielten, spürte ich rasch, dass die agile Mittfünfzigerin etwas Besonderes war.
Ich lobte sie für ihre drei Kurzauftritte und erklärte ihr, was mich so fasziniert hatte, und sie schaute mich mit beeindruckenden, tiefblauen Augen an und bedankte sich lächelnd; Jason erzählte ausführlich von seinen Plänen und Projekten, und sie hörte freundlich hin. Insgeheim vermutete ich, dass sie sich nicht allzu viel aus Horrorliteratur machte, aber das ließ sie sich gar nicht anmerken, sie stellte interessierte Fragen und ließ Jason immer spüren, dass sie ihn mochte und ihm für sein Tun Achtung zollte.
Auf einmal erhielt Jason eine SMS von seiner Freundin, die ihn umgehend dazu veranlasste, unter liebenswürdigen Entschuldigungen aufzubrechen. Wir zwei Frauen blieben noch sitzen. Eigentlich fühlten wir uns jetzt so richtig wohl. Ungestört.
Längst waren Marie-Louise und ich zum Du übergegangen, und sie erkundigte sich, was ich gerade machen, was mich bewegen und beschäftigen würde, und ihre sehr schönen Augen, von Fältchenkränzen umgeben, blieben unverwandt voller Interesse auf mich gerichtet – ich fühlte förmlich die Wärme, die von ihr ausstrahlte. Dann wieder lockerte sie das Gespräch auf durch kleine Anekdoten aus ihrem ereignisreichen Leben, brachte mich zum Lachen und zum Weiterreden. Ehe ich mir dessen recht bewusst wurde, war ich schon dabei, Marie-Louise intime Details aus meinem Leben anzuvertrauen, ihr zu berichten, wie es mir zurzeit bei QUASI erging und weshalb ich mich so unwohl im Weibercafé fühlte. Ich weiß ich weiß, es ist sooo ein abgeklapperter Spruch, aber hier stimmte er tatsächlich: Es war, als würden die Schauspielerin und ich uns schon seit Ewigkeiten kennen.
Meinen Berichten aus dem Frauencafé schenkte sie besondere, lebhafte Aufmerksamkeit, und ich erfuhr auch bald weshalb.
»Isch wär selbst einmal fast reingegangen«, erzählte sie. »Aber dann traf isch eine Frau, die im Dsorn gegangen war aus dem Café, und was sie mir sagte, ließ misch sögern … isch wollte nit in eine so männerfeindliche Etablissement Gast sein, non merci.«
»So männerfeindlich sind wir eigentlich gar nicht!«, protestierte ich.
»Vielleischt ’ab isch misch
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