BitterSueß
damals von meine Vorurteile lenken lassen su stark«, räumte Marie-Louise ein.
Mir kam ein Gedanke. »Und – möchtest du nochmal einen Versuch wagen? Ich nehme dich einfach mal mit und zeig dir alles. Was hältst du davon?«, schlug ich vor.
Mit südfranzösischem Temperament – sie stammte aus den Seealpen, aus der Nähe von Nizza – bejahte Marie-Louise. Sie klatschte in die Hände, sprang dann auf und meinte, es sei schon spät.
Und in der Tat war die Bedienung des Theatercafés gerade dabei, die Stühle auf die Tische zu stellen.
5. Dezember 2002
Boah, es ist total viel passiert in den letzten paar Tagen! Wo fang ich nur an …??
Ich glaube, es war ein Fehler von mir, Marie-Louise ins Frauencafé einzuführen. Einerseits. Andererseits auch wieder nicht, denn es hat mir die Augen geöffnet für so manches, und das war bestimmt gut so. Wenn auch sehr schmerzhaft.
Doch ich will wieder mal versuchen, die Dinge richtig einzuordnen.
Schon seit einer Weile hatte ich bemerkt, dass Alpha schlecht drauf war, doch sie ließ mich ja einfach nicht an sich heran. Ich meine, ich selbst trank ja auch gern mal was, rauchte sowohl Tabak als auch mal ’nen Joint … aber was meine Freundin zurzeit so konsumierte, ging schon in Richtung Sucht, fand ich. Trotzdem hegte ich noch immer die Hoffnung, dass sie alleine auch wieder davon loskommen würde … und blöderweise stellte ich mir sogar vor, dass Marie-Louise einen wohltuenden Einfluss auf sie haben mochte.
Die Adventszeit begann, und das Frauencafé WEIBERNEST erstrahlte ein letztes Mal in feierlichem, leicht melancholischem Glanz.
Meine Mitfrauen (die wenigen verbliebenen, im Prinzip nur Sina und Conny) hatten Kerzen angezündet, alle, die sie finden konnten, und das waren eine ganze Menge, und doch war keine einzige neuwertige dabei. Es waren allesamt Kerzenstummel. Wie symbolisch, dachte ich, als ich Marie-Louise hineinführte in den großen Vorderraum, der schön sein konnte, wenn man sich etwas Mühe gab, ihn zu gestalten … und Alpha saß schon in einer Ecke. Halb betrunken.
»Wersn das?«, lallte sie ziemlich bald und stach herausfordernd mit dem Finger nach Marie-Louise, die ganz ruhig blieb.
In den letzten Tagen war es unmöglich gewesen, mit Alpha mal richtig zu reden, obwohl ich das gern getan hätte. Na ja, GERN war vielleicht nicht das richtige Adjektiv. Aber ich kannte sie schon so lange, und ihre Probleme ließen mich nicht kalt. Sie hatte welche, darauf deutete allein schon ihr erhöhter Alkoholkonsum hin – es war aber jetzt nicht meine Absicht, sie anzusprechen.
Ich musterte Alpha so kühl wie es mir möglich war – es hatte meiner Meinung nach auch keinen Sinn, auf ihre alberne Frage einzugehen.
Marie-Louise schien da anderer Meinung zu sein.
Gelassen setzte sie sich in Alphas Nähe und sagte: »Isch ’eiße Marie-Louise, und deine Freundin Jeanette meinte, du brauchst vielleicht ’ilfe.«
»Soll das ein Witz sein?«, war Alphas einzige, tonlose Erwiderung, und im nächsten Moment lachte sie auch tatsächlich, ein freudloses Schnapslachen.
Marie-Louises blauer Blick haftete unbeirrt auf ihr.
»Wieso trinkst du?«, fragte sie, ruhig und ohne die Spur eines moralischen Tonfalls.
Voll ins Schwarze getroffen.
Schlagartig wirkte Alpha sehr nüchtern. »Weil’s mir Spaß macht, deshalb!«, fauchte sie mit einem absolut unspaßigen Gesichtsausdruck. Sie sprang auf. »Wer bist du wirklich – so ’ne Psychotante? Lass mich bloß in Ruhe, du! Sonst fängst du eine!«
Bei dieser lauten Drohung sahen die paar anderen Frauen erschrocken auf; nur Marie-Louise blieb vollkommen souverän. Ihren Augenkontakt zu Alpha hielt sie aufrecht, ihre Mimik war neutral.
Meine Freundin schoss noch einen zornig-verächtlichen Blick auf mich ab, der mir wehtat. Und schon war sie weg. Typisch Alpha – wenn es unangenehm wurde, haute sie sofort ab. Nun – eine Menge Menschen taten das, es war eine nicht eben seltene Erscheinung. Trotzdem fand ich es gerade heute besonders schade.
Wir redeten noch ziemlich lange über Alpha, was mich erleichterte. Marie-Louises einfühlsame, klare Art gefiel mir mehr und mehr. Sie war sehr direkt, konnte aber auch abwägen und sich zurückhalten, wenn sie spürte, dass das besser war. Mir wurde bewusst, dass ich bis jetzt noch nie einen Menschen getroffen hatte, der ihr darin ähnlich gewesen wäre.
Seitdem haben wir uns noch mehrmals getroffen und uns ausgetauscht.
»Was willst du wirklich, Janet?«, hat Marie-Louise
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