BitterSueß
angerufen und mir traurige und sehnsüchtige Dinge auf den AB gesprochen, aber ich hab nicht zurückgerufen. Nicht gerade die feine Art, ich weiß. Aber ich hätte echt keine Ahnung, was ich ihm sagen sollte)
Es fing damit an, dass ich unmittelbar nach meiner Rückkehr feststellte, dass in unserer Wohngegend offenbar Katzen verschwanden. An Bäumen, Papierkörben, Laternenpfählen und Hauswänden angebrachte Din A4 Blätter zeugten davon, und die Texte alleine schnitten mir direkt ins Herz. Besorgt dachte ich an meinen Ivory und empfand tiefes Mitgefühl mit den verwaisten Katzenhaltern.
»Unsere Fibi ist weg! Hohe Belohnung für jeden, der uns hilft, unsere geliebte Katze wiederzubekommen.«
»Wichtel vermisst. Unsere liebe, verschmuste, aber etwas scheue Tigerkatze ist vor drei Tagen verschwunden. Bitte auch in Garagen und Kellern nachschauen.«
Das einzige, was bei mir Stirnrunzeln auslöste, waren die bescheuerten Namen, die die Leute ihren Samtpfoten gaben. Ich meine: FIBI? Oder, noch schlimmer: WICHTEL? Hallo?! Man kann eine Katze doch nicht WICHTEL nennen. Wieso nicht gleich TITTI oder FELLGNOM.
Davon abgesehen überlegte ich mir sogar, die Leute einfach so anzurufen und ihnen Mut und Trost zuzusprechen. Selbstverständlich hielt ich außerdem auf meinen Spazier- und Brötchenholgängen ebenso Ausschau wie bei meinen Joggingrunden.
Vorgestern habe ich die dritte Vermisstenmeldung gelesen, ein aufwendig gestaltetes Plakat an der großen Platane an der Ecke. »Unser Mutziputzi fehlt uns so! Sie ist tätowiert, gechipt, sehr anschmiegsam, vielleicht etwas zu zutraulich – und sie braucht dringend ihre Medikamente!!!« Inmitten des Textes das Foto von einer dicken weißen Katze.
Zugegeben, schon wieder ein bekloppter Name. Doch meine Besorgnis stieg – waren am Ende professionelle Katzendiebe am Werk, die die unglücklichen Tiere an Versuchslabors verscherbelten?
Und dann, gestern, der Schlag: Fast sämtliche Katzensuchplakate waren unordentlich ABGERISSEN, also so mit Resten dran, und während ich mich wie betäubt fragte, wer denn so etwas mache, klärte sich die Sache schon mal so halb. An zwei Stellen, an einem Hoftor und an einem Laternenmast, hatte sich der Täter – wenn auch anonym – verewigt: mit seinen Katzenhasserplakaten. Von der neuen Rechtschreibung hatte der Typ relativ wenig Ahnung.
»Die ach so süssen, verschmußten Katzen sind Vogelmörder! Es ist GUT, dass die mörderischen Viecher beseitigt sind; in letzter Zeit werden regelmässig Singvögel, die ich füttere, von streunenden Katzen ZERFETZT!«
Verdammt, jetzt sah es ja schon nach einem KRIMI aus. Unwillkürlich stellte ich mir den Katzenfeind vor: ein alter, einsam lebender, verbitterter Mann, Spießer, dessen einzige Freude die Vögel waren. Aber gab ihm das ein Recht, so gehässig zu sein? Zumal ich wirklich nicht glaubte, dass die Katzen in unserer Gegend derart eifrige Vogeljäger waren. Ich hatte darüber auch was gelesen, ich konnte das begründen. In Gedanken sammelte ich schon meine Argumente … kurz darauf musste ich entdecken, dass die verzweifelten Katzenbesitzer ihrerseits wieder reagiert hatten, mit einem wütenden, den Katzenhasser verfluchenden Text, der ebenfalls an mehreren Stellen hing, darunter auffällig oft um dieses eine Hoftor herum.
Die Sache drohte zu eskalieren, und ich fand, es war höchste Zeit, dass ich mit einem vermittelnden Text eingriff.
30. Dezember 2002
Oh Himmel … der Blitz hat eingeschlagen. In mich. Ich wurde in zwei Stücke gespalten, bin hin und weg. Was für ein Mann!
Aber der Reihe nach, auch wenn’s mir schwerfällt. Dies ist ein Tagebuch, ich muss chronologisch schreiben, das gehört sich einfach so.
Ich druckte also einen Aufkleber.
1. Hass und »Beseitigen-Wollen« sind keine Lösung. Alles kommt wieder.
2. Eine entlaufene Katze ist kein streunendes Tier.
3. Erwiesen ist, dass Katzen vor allem Mäuse jagen, Vögel nur selten, und wenn, dann eher schwache und kranke Vögel. Katzen sind bei uns heimisch, anders als z.B. in den USA, und unsere Vögel haben Strategien entwickelt, um sich vor diesem Raubtier zu schützen.
Entschlossen zog ich gestern Abend damit los und klebte mein kleines Pamphlet dutzendfach überallhin, am liebsten mitten in den Text des Katzenhassers, auch wenn das vielleicht wieder einen Tick zu aggressiv war. Hm, im Grunde war ich ja doch parteiisch und auf der Seite der Katzenliebhaber. Na gut, und trotzdem hätte ich es prima gefunden, wenn wir uns
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