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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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Autoraststätte speist, wird dort genau die Art von Speisen finden, die vorgekocht sind und aus dem Büfett direkt auf den Teller kommen. In diese lokanta s geht man für das schnelle Essen. Man wartet weder auf das Essen, noch hält man sich unnötig dort auf.
    Türkisches Diner
    Helmuth von Moltke, der von 1835 bis 1839 als Militärberater im Osmanischen Reich lebte, beschrieb in seinen Briefen die Lebensart der Osmanen und berichtete von einem Volksfest, das für die Diplomaten in Konstantinopel ausgerichtet wurde: »Da diese Feier echt türkisch ist, so gab man uns auch ein echt türkisches Diner, natürlich ohne Messer und Gabeln und ohne Wein. Den Anfang der Schüsseln machte ein gebratenes Lamm, inwendig mit Reis und Rosinen gefüllt. Jeder riss sich ein Stück ab und langte mit den Fingern hinein; dann folgte Halwa, eine süße Mehlspeise aus Honig, dann wieder Braten und wieder ein süßes Gericht, bald warm, bald kalt, bald sauer, bald süß. Jede einzelne Schüssel war vortrefflich, die ganze Kombination aber für einen europäischen Magen schwer begreiflich, und alles ohne Wein. Das Eis wurde in der Mitte der Mahlzeit gegeben; endlich forderten wir dringend den Pillaw, welcher stets den Beschluss der Mahlzeit macht. Dann wurde noch eine Schüssel Hoschaf (eine Kaltschale zum Beispiel aus Kirschen) oder Obst auf die große runde Scheibe gestellt, an der wir aßen, und mit Löffeln geleert.« 54
› Hinweis
    Bei den großen Festmahlzeiten waren nur Männer anwesend, in den Häusern aßen Männer und Frauen getrennt oder nacheinander. So war es auch bei meiner Großmutter Emmana vor vierzig Jahren in Pinarbashe: Erst aßen die Männer mit ihr, dann alle anderen Frauen und wir Kinder. Beim Essen wurde nicht viel geredet, und der spanische Gast im Haus des Großadmirals Sinan Pascha bemerkte erstaunt: »Wer satt ist, dankt mit einem ›el-hamdulillah‹ Gott, steht sofort auf, worauf ohne Verzug sein Platz von einem anderen eingenommen wird.« 55
› Hinweis So ist es heute noch in türkischen Restaurants: Man sitzt nicht lange nach dem Essen bei Tisch, sondern die flinken Kellner räumen meist, kaum hat man den letzten Bissen verspeist, die Tafel schon wieder ab. Der Volksmund sagt: »Wenn der Türke satt ist, denkt er an Aufbruch.«
    Tatar und Gefrierfleisch
    Es gibt eine Reihe von Speisen in der türkischen Geschichte, die wahrhaft identitätsstiftend gewesen sind. Mich kann man für türkisches Essen zu jeder Tages- und Nachtzeit wecken, ich werde der Speisen – trotz der eigentlich immer gleichen Zutaten, wie Fleisch, Tomaten, Teigwaren, Joghurt – auch nie überdrüssig, denn diese Zutaten werden in den ungewöhnlichsten Variationen zubereitet.
    Die nachhaltigsten kulinarischen Innovationen verdanken wir den turkmenischen und tatarischen Nomadenstämmen. Auf ihren langen Eroberungszügen konnten sie kaum Gepäck mit sich schleppen und ernährten sich auf längeren Märschen, wie Marco Polo und andere berichteten, vom Blut ihrer Reittiere, indem sie eine Ader des Pferdes öffneten und das Blut tranken. Schwache Pferde wurden mehr oder weniger roh verspeist.
    Heute kennen wir dieses Hackfleisch als »Tatar«. In der türkischen Küche hat es in leicht abgewandelter Form als cigköfte überlebt, das sich im Südosten der Türkei nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Das ist Beefsteakhack, gemischt mit feinem Bulgur, scharfem Paprikamark und fein gehackten Zwiebeln, das unter Zugabe von gemahlenem Eis oder kaltem Wasser lange geknetet wird und, in Salatblätter gewickelt, als Vorspeise dient.
    Die Turkmenen vergruben Teile der Schlachttiere, eingeschlagen in Blätter und Gewürze, im gefrorenen Steppenboden und kreierten damit das erste Tiefkühlfleisch. Aus der Milch ihrer Stuten, Yaks und Rinder machten sie Butterfett, aber vor allem eingedickte Milch, den Joghurt, und Ayran. Sie erfanden das Milchpulver, indem sie Milch in breiten, flachen Schalen kochten, den Rahm abschöpften und die fettfreie Flüssigkeit in der Sonne zu Pulver trockneten. Später wurde dann dieses Pulver mit Wasser aufgegossen und als eine Art Ayran zum Frühstück getrunken. Aus fermentierter Stutenmilch gewann man kimiz , ein Getränk, das einen Alkoholgehalt von bis zu fünf Prozent hatte und manchen Reiter vom Pferd fallen ließ.

Essen als Politik
    Der Einfluss der arabischen Küche ist vor allem im Süden und Osten der Türkei spürbar. Die meze , die große Variationsbreite aller erdenklichen Art von Vorspeisen und

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