Bittersüße Heimat.
Reihe von Vermutungen darüber, warum das Schwein bei einigen jüdischen Stämmen zunächst als heiliges Tier galt, dann aber verdammt wurde. Als Träger von Krankheiten stand es allerdings nie in Verdacht.
Jeder kann aus religiösen oder anderen Gründen auf den Verzehr bestimmter Dinge verzichten – niemand verlangt von denMuslimen, sie sollten ein Eisbein oder Würstchen essen. Es gibt Vegetarier, gar Veganer auch bei uns. Deswegen wird hier aber niemand wegen seiner Nahrungsvorlieben zum schlechteren Menschen erklärt. Anders bei den muslimisch geprägten Gemeinschaften: Sie nutzen die Essgewohnheiten zur Diskreditierung der Ungläubigen, mit denen man keinen Kontakt pflegen soll, weil sie, da Schweinefleischesser, »unrein« sind. Mit Religion oder religiösen Gefühlen hat das nichts zu tun, eher dient es der religiös gerechtfertigten sozialen Apartheid. Aber vielleicht ist es schlicht eine Schweinephobie, die die Muslime kollektiv befallen hat. Das Schwein als Mittel der Politik gegen die Christen einzusetzen ist jedenfalls einer Religion unwürdig. Und der türkischen Küche ist dadurch manche Delikatesse entgangen.
Aber auch den Nichtmuslimen wird der Genuss von Schinken oder Würstchen in der Türkei vorenthalten. Es gibt keinen Supermarkt oder Delikatessenladen mehr, in dem man profane Würstchen oder exklusiven Parmaschinken kaufen kann. Im Sommer 2008 musste der letzte griechischstämmige Metzger in Istanbul seinen Laden schließen, weil es keine Schweinezüchter mehr in der Türkei gibt und er deshalb kein Fleisch beziehen kann. Die AKP – Regierung hat – unter Berufung auf EU-Recht – so restriktive Hygienevorschriften erlassen, dass die letzten beiden Züchter aufgeben mussten. Für Schaf- und Rinderfarmen gelten allerdings langjährige Übergangsfristen. Mit solchen Vorschriften will die AKP – Regierung »die Regeln des gottgefälligen Lebens« durchsetzen und jetzt auch im ganzen Land dem Alkoholkonsum zu Leibe rücken. Dabei ist auch in diesem Fall die Auslegung des Korans mehr als willkürlich.
Der Prophet lobt den Wein
»Und wir geben euch von den Früchten der Palmen und Weinstöcke zu trinken, woraus ihr euch einen Rauschtrunk macht, und außerdem schönen Unterhalt. Darin liegt ein Zeichen für Leute, die Verstand haben.«
Was sich wie der Wandspruch einer Bodega liest, steht in der Sure 16, »Die Biene«, Vers 67, des Koran. Mohammed zollte mit diesem Lob dem Zeitgeist der frühen Offenbarungen in MekkaTribut, wo Schulen der Wein- und Liebesdichtung entstanden, die sich mit dem Islam bis nach Bagdad und Sevilla ausbreiteten. Allerdings nahm der Alkoholkonsum der Muslime in der Umgebung des Propheten dann wohl überhand, sodass er sich zu mahnen veranlasst sah: »Ihr Gläubigen! Kommt nicht betrunken zum Gebet, ohne vorher wieder zu euch gekommen zu sein und zu wissen, was ihr sagt!« (Sure 4, »Die Frauen«, Vers 43). Aber seine Mahnungen scheinen nicht gefruchtet zu haben, zumal die ersten Gläubigen wohl keine Frömmler, sondern den amüsanten Seiten des Lebens zugetan waren. Da wurde der Prophet streng: »Ihr Gläubigen! Wein, das Spiel, Opfersteine und Lospfeile sind ein wahrer Gräuel und des Satans. Meidet es! Vielleicht wird es euch dann wohlergehen.« (Sure 5, »Der Tisch«, Vers 90).
Was gilt nun? Ist es ein Verbot? Oder ist es nur eine Empfehlung, eine Meinung? Der Koran selbst ist in dieser Frage widersprüchlich, das Heilige Buch empfiehlt den Rausch, verbietet dann aber den Wein. Erst durch die Sunna, die nach dem Tod Mohammeds entstandene »Tradition«, wurde Klarheit geschaffen, die Sure 5 als des Propheten Ratschluss angesehen und ein Verbot erlassen – an das sich aber selbst die frommen Derwische, die auch anderen Drogen wie Opium und Haschisch nicht abgeneigt waren, nicht immer gehalten haben. Trotzdem ging in Anatolien, einem der ältesten Weinanbaugebiete der Welt, mit der Islamisierung ein tausendjähriges Wissen um den Weinanbau verloren. Wenn Frauen in Mardin oder an anderen Orten der Türkei versuchen, diese Tradition wiederzubeleben, so hat das etwas von Konspiration, Widerstandsgeist und Eigensinn.
In Saudi-Arabien wird der Alkoholgenuss mit 80 Peitschenhieben bestraft. In den Ländern, in denen der Islam Staatsreligion ist, herrscht Alkoholverbot, in der Öffentlichkeit auch für die Ungläubigen. Im Osten der Türkei bekommt man heute weder in einem Restaurant noch in einem Hotel ein Bier. Und Freunde berichteten, dass es inzwischen selbst in
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