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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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Beamtin. »Sie waren beim Frisör.«
    »Ich hab es leicht glätten lassen«, erwiderte Frappe. »Dass Ihnen das auffällt! Nun, kommen wir zur Sache, ja? Sie haben keinen Ärger, Anya, aber wir müssen mit Ihnen über etwas sprechen.«
    Ich nickte. Mein Herz begann zu flattern, mein Magen fühlte sich an, als sei ein Gummiband darum geschlungen.
    »Ihr Bruder Leo hat heute Vormittag versucht, Yuri Balanchine mit der Waffe Ihres Vaters umzubringen.«
    Ich bat sie, das Gesagte zu wiederholen. Ich verstand den Sinn der Worte nicht.
    »Ihr Bruder hat mit der Waffe Ihres Vaters auf Ihren Onkel geschossen.«
    »Woher weiß man, dass es die Waffe meines Vaters war?«, fragte ich wie betäubt.
    »Ihr Cousin Mickey war dabei, und er erkannte die Waffe. Roter Griff. Die Worte Balanchine Extra Herb seitlich eingraviert.«
    Wenn Mickey recht hatte, dann war es die Smith & Wesson, die schon vor längerer Zeit verschwunden war.
    »Sie sagten gerade, er hätte versucht , Yuri umzubringen. Heißt das, Onkel Yuri lebt noch?«, fragte ich.
    »Ja, aber er ist in einem ernsten Zustand. Das Projektil durchschlug seine Lunge, er hatte einen Herzstillstand«, erwiderte Frappe. »Er liegt auf der Intensivstation.«
    Ich nickte. Ich wusste nicht, ob es besser oder schlechter für Leo war, wenn Yuri überlebte. »Ist Leo noch am Leben?«, wollte ich wissen.
    »Ja, aber niemand weiß, wo er ist. Er hat einen Schuss abgegeben, dann lief er davon, bevor ihn jemand aufhalten konnte.«
    »Ist er verletzt?«
    Frappe wusste es nicht. »Ihr Cousin Mickey hat nur zur Verteidigung auf ihn geschossen, konnte aber nicht genau sagen, ob er ihn getroffen hat.«
    Armer Leo! Er musste unglaubliche Angst haben. Warum hatte ich ihm bloß erlaubt, in dem Laden zu arbeiten?
    »Haben Sie irgendeine Vorstellung, warum Ihr Bruder Yuri Balanchine erschießen wollte?«, fragte der andere Beamte.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Setzen Sie sich bitte mit uns in Verbindung, wenn Leo Kontakt zu Ihnen aufnimmt? Sie werden einer Meinung mit uns sein, dass es besser für ihn ist, wenn er bei uns landet statt in den Händen Ihrer Familie.«
    Ich nickte lächelnd und dachte: Als ob ich Leo jemals der Polizei ausliefern würde.
    Die beiden gingen, doch ich konnte mich nicht rühren. Die Rektorin kam zu mir. Sie legte ihre Hand auf meine. »Ist zu Hause irgendjemand, der auf Sie aufpasst? Leo ist doch Ihr Vormund, wenn ich mich nicht irre. Wenn da niemand ist, der sich um Sie und Ihre Schwester kümmert, dann muss ich das Jugendamt benachrichtigen, Anya.«
    »Doch, da ist jemand.« In diesem Punkt bog ich die Wahrheit ein wenig zurecht. »Wir haben eine Kinderfrau. Sie heißt Imogen Goodfellow. Früher hat sie Galina gepflegt, jetzt passt sie auf uns auf.« Ich notierte Imogens Telefonnummer für die Rektorin. Dann fragte ich, ob Natty und ich den Rest des Tages freihaben könnten, falls Leo versuchen sollte, zurück in die Wohnung zu kommen.
    »Aber sicher, Anya«, erwiderte die Rektorin. »Aber seien Sie vorsichtig auf dem Heimweg. Draußen warten bereits Journalisten.«
    Ich schaute aus dem Fenster. Wie zu erwarten, ballte sich eine Traube von Presseleuten auf dem Gehsteig vor Holy Trinity.
    Die Rektorin schickte jemanden los, der Natty aus dem Unterricht holte, und ich fragte, ob ich das Telefon benutzen dürfe, während ich wartete. Ich rief Mr. Kipling und Simon Green an. Wir brauchten zumindest ein Auto, um nach Hause zu kommen. Ich erklärte, was geschehen war. Im ersten Moment sprach keiner von beiden, und ich fragte mich, ob die Leitung tot sei. »Das tut mir leid, Anya«, sagte Mr. Kipling schließlich. »Diese Nachricht übersteigt wirklich mein Fassungsvermögen.«
    »Glauben Sie, dass Natty und ich zu Hause geschützt werden müssen?«
    »Nein«, sagte Mr. Kipling. »Die Familie wird wahrscheinlich erst tätig werden, wenn sich Yuris Zustand stabilisiert hat. Und selbst wenn, dann werden sie Leo umbringen wollen, nicht euch.«
    Als Natty im Büro eintraf, erzählte ich ihr von Leo. Ich rechnete damit, dass sie weinte, doch sie tat es nicht. »Komm, wir zünden in der Kapelle Kerzen für Leo an«, sagte sie und schob ihre kleine Hand in meine.
    Ich stimmte zu, dass das nicht schaden könne. »Wir brauchen aber Gutscheine«, sagte ich.
    Doch tief in mir dachte ich, dass es auch nicht viel helfen würde.
    *
    In den folgenden Tagen liefen Natty und ich herum wie Zombies. Wir aßen, wir schliefen, wir duschten, gingen zur Schule. Wir taten alles, was von uns erwartet

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