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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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gezeichnete. Ich wusste, dass sie Tatortermittlerin gewesen war, sich in meinen Vater verliebte, für ihn ihren Beruf aufgab und dann starb. Ich wusste auch noch, dass sie schön gewesen war (aber für welches kleine Mädchen ist die Mutter das nicht?) und nach einer besonderen Lavendelhandcreme duftete. Aber ich würde weder ihre Stimme erkennen, wenn man mir eine Aufnahme von ihr vorspielte, noch konnte ich mich an ein einziges Gespräch mit ihr erinnern. Auch wenn ich mich danach sehnte, eine Mutter zu haben, so fehlte sie selbst mir so gut wie nie. Wie sollte man jemanden vermissen, den man kaum gekannt hatte? Während Daddy … Mein Kopf war voll von Daddy, aber das ist ja bereits bekannt.
    Daher war es sonderbar, dass ich mich an etwas erinnerte, das meine Mutter gesagt hatte, zumal die paar Worte, mit denen sie Leo eine gute Nacht gewünscht hatte, so nichtssagend waren.
    »Fehlt sie dir?«, fragte ich ihn und setzte mich noch einmal auf sein Bett.
    »Manchmal«, sagte er. »Mein Kopf … ich hab viel vergessen.« Dann lächelte er mich an. »Aber du siehst aus wie sie. Das weiß ich genau. Du bist genauso schön wie Mommy.« Er strich mir mit dem Handrücken über die Wange. Dann glättete er die Falte zwischen meinen Brauen und wischte die Träne fort, die mir aus dem Auge gekullert sein musste. »Mach diesen Urlaub, Annie. Du musst dir wirklich keine Sorgen mehr um mich machen, das verspreche ich dir.«
    In der Nacht träumte ich vom Tatortkurs für Jugendliche. Ich träumte, dass Scarlet in meinem Zimmer war und mir beim Packen half. Ich träumte, wie mich Natty, Leo und Win zum Bahnhof begleiteten und verabschiedeten. Ich träumte von meiner Mitbewohnerin, einer dünnen Rothaarigen, die mir anbot, als Erste mein Bett zu wählen. Ich träumte von weißen Kreidelinien auf dem Gehsteig und Beweismitteln in Plastiktüten. Ich träumte von Eiscreme und Ausflügen ins Museum, in echte Museen mit Gemälden. Wie altmodisch diese Ausflüge auch waren, sie machten Spaß. Ich träumte von all den Leuten, die ich kennenlernen würde, und dass keiner von ihnen irgendetwas über mich wissen würde. In New York war ich Anya Balanchine, die Tochter eines ermordeten Gangsterbosses, doch außerhalb unseres Bundesstaates war meine Familie weit weniger berühmt. Hatte Nana nicht mal von einer Balanchine gesprochen, die vor einigen Jahrhunderten gelebt hatte? Eine Choreographin vielleicht? Eine Tänzerin? Ja, ich würde behaupten, mit ihr verwandt zu sein. »Ich bin Anya Balanchine. Ich stamme von einer langen Reihe von Ballerinen ab.«
    Ich sah alles ganz deutlich vor mir.

XVIII.
    Ich werde verraten
    Als Scarlet und ich uns am nächsten Tag nach dem Fechten umzogen, fragte sie mich nach Wins und meinen Plänen für den Abschlussball. »Meinst du, ihr geht da hin?«, wollte sie wissen.
    Ich erwiderte, dass wir noch nicht darüber gesprochen hätten, ich aber keinen Grund wüsste, nicht zu gehen. Win mochte solche Veranstaltungen ganz gerne. Und da der Herbstball so ein Reinfall gewesen war, hatte ich vor, ihn diesmal einzuladen. »Warum?«
    »Nun, es ist nur noch einen Monat hin, und ich sitze im Planungsausschuss, daher …« Sie verstummte. »Die Sache ist, ich wurde eingeladen«, sagte Scarlet.
    »Jetzt schon? Das ist ja super!« Ich küsste sie auf die Wange. »Lass mich raten! Du bist wieder mit Garrett Liu zusammen.«
    »Nein …«, sagte sie zögernd.
    »Wer ist es denn dann?«, neckte ich sie. »Jemand, der auf unsere Schule geht? Oder ein sexy älterer Mann?
    Sie schwieg.
    »Von wem denn nun, Scarlet?« Je länger sie schwieg, desto mehr dämmerte mir, was ihr Schweigen bedeuten konnte, beziehungsweise auf wen es hinwies. »Du kannst doch nicht –«
    »Es ist rein freundschaftlich. Wir hatten so viel miteinander zu tun, seit er wieder in der Schule ist. Das hat nichts mit Gefühlen zu tun. Natürlich nicht . Gable ist nur meine Begleitung.«
    Damit war es heraus. Sie hatte seinen Namen ausgesprochen.
    »Scarlet, das geht nicht! Er ist furchtbar! Er ist total fies!«, sprudelte es aus mir heraus. Ich schüttelte den Kopf. Mir fehlten die Worte. Ich konnte sie nicht mal ansehen.
    »Er hat sich verändert, wirklich. Du hast ihn doch gesehen. Er ist anders als früher. Was bleibt ihm auch übrig? Ich meine, nach dem, was mit ihm passiert ist. Er hat einen Fuß verloren, Annie. Er … er tut mir einfach leid.«
    »Das ist alles?«, fragte ich. »Er tut dir leid?«
    »Ich … sieh mal, es ist ja nicht so, als wäre ich

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