Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
Vom Netzwerk:
mag dich, Anya Balanchine. Schade, dass du kein Junge bist.«
    »Damit ich mit fünfundvierzig tot bin, so wie mein Vater, ja?«, fragte ich leise.
    Onkel Yuri antwortete nicht. Ich wusste nicht, ob er mich überhaupt verstanden hatte. »Würdest du mich durch den Flur in Galinas Zimmer schieben? Ich würde gerne noch meine Stiefmutter besuchen, bevor ich gehe.«
    Auf dem Weg durch den Flur fragte er, wie es Nana gehe.
    »Kommt auf den Tag an«, erwiderte ich. »Onkel Yuri, ich habe gehört, dass mein Bruder im Pool arbeiten soll.«
    »Ja, davon habe ich auch gehört«, sagte er.
    »Das wäre mir nicht so lieb.«
    »Hast Du Angst, dass wir ihn verderben?«, fragte Onkel Yuri. »Ich gebe dir mein Wort, dass dort mit deinem Bruder nur eins geschehen wird: Er erhält einen ansehnlichen Scheck für einfache Arbeit. Wir kümmern uns um ihn. Niemand wird von ihm verlangen, etwas Riskantes zu tun, niemand wird ihn einer Gefahr aussetzen. Ich hatte gehört, dass er seine Arbeit verloren hat. Ihm vorübergehend etwas anderes anzubieten ist das Mindeste, was wir tun können, oder?«
    Onkel Yuris Versicherung gab mir ein besseres Gefühl bei der ganzen Sache als Jacks’ Worte. Und wenn ich bedachte, wie heikel Nanas Zustand war und wie potentiell heikel meine rechtliche Situation war, dann war es auf jeden Fall besser für Leo, dass es zumindest den Anschein hatte, als sei er erwerbstätig. Zudem hatte ich keine Vorstellung, wann sich die Situation in der Tierklinik ändern würde, vor allem jetzt, da Mr. Kipling nicht tätig werden konnte. Onkel Yuri und ich hatten Nanas Zimmer erreicht. Ich öffnete die Tür und rief: »Nana, schläfst du?«
    »Nein, Christina, du kannst reinkommen«, sagte sie.
    »Ich bin nicht Christina«, erwiderte ich. »Ich bin’s, Annie. Und rat mal, wen ich mitgebracht habe. Deinen Stiefsohn Yuri!«
    Ich schob ihn ins Zimmer. »Bah«, sagte Nana zu ihm. »Yuri, warum bist du so alt geworden? Und so fett?«
    Fröhlich schlich ich nach draußen.
    Mickey Balanchine stand im Flur vor Nanas Tür. »Du kannst dich wahrscheinlich nicht mehr an mich erinnern, aber ich bin dein Cousin«, stellte er sich vor.
    »Wer ist das nicht?«, scherzte ich.
    »Da hast du recht. Immer wenn ich ein Mädchen kennenlerne, muss ich erst mal überprüfen, ob sie nicht mit mir verwandt ist«, sagte er. Mickey Balanchine war eher klein, höchstens vier, fünf Zentimeter größer als ich. Er hatte so blondes Haar, dass es fast weiß wirkte, seine Haut war ebenso hell, nur auf Nase und Wangen hatte er Sommersprossen. Im Kontrast zu seinem Haar und seiner Haut war er völlig schwarz gekleidet. Sein Anzug saß wie angegossen und sah sogar neu aus. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber vermutete, dass seine Stiefel kleine Absätze hatten, damit er größer wirkte.
    »Ich wollte dich schon seit längerem kennenlernen«, sagte Mickey. »Jetzt, wo du erwachsen bist, meine ich. Als ich noch ein Teenager war, hab ich oft Erledigungen für deinen Vater gemacht. Ich war sehr oft in dieser Wohnung. Ich hab dich sogar nackt gesehen, kleine Anya.« Er wies durch den Flur aufs Badezimmer. »In dem Zimmer da. Deine Mutter badete dich. Ich bin aus Versehen reingekommen.«
    Das wollte ich alles nicht wissen.
    »Und?«, fuhr er fort, »worüber hat der alte Mann mit dir gesprochen?«
    Über nichts, dachte ich, aber das ging Mickey nichts an. »Ich nehme an, wenn du es hättest wissen sollen, hätte er es dir erzählt«, sagte ich.
    In dem Moment kam Jacks zu uns. »Was ist hier los?«, fragte er.
    »Ich unterhalte mich nur mit meiner Cousine«, erwiderte Mickey.
    »Sie ist auch meine Cousine«, sagte Jacks.
    »Kann sein«, bemerkte Mickey.
    »Was soll das schon wieder heißen?«, fragte Jacks. »Was willst du damit sagen, Mikhail? Dass ich ein Bastard bin?« Seine Augen flackerten, und ich konnte fast riechen, dass er jede Menge Testosteron ausströmte. Er stürzte sich auf Mickey, doch der blieb reglos stehen. Wir alle wussten, dass Jacks für solcherlei Dinge nicht die Eier in der Hose hatte.
    »Ach, Jackie, entspann dich«, sagte Mickey. »Du blamierst dich vor meiner Cousine.«
    »Annie, kann ich mal mit dir reden?«, fragte Jacks.
    »Schieß los!«, sagte ich.
    »Allein«, erklärte er.
    »Sieht so aus, als würde heute niemand in meiner Gegenwart sprechen wollen«, bemerkte Mickey. 
    Ich überhörte es. Auf so ein kindisches Verhalten war ich noch nie eingegangen. Außerdem gab es so einiges, was ich Jacks sagen wollte. »Gehen wir nach

Weitere Kostenlose Bücher