Bitterzart
Schule.«
»Herzlichen Glückwunsch!«
»Doch, ich habe in den letzten neun Tagen bestimmt sehr viele dauerhafte Freundschaften geschlossen«, sagte Scarlet. »Du hast jetzt riesengroße Konkurrenz.«
Ich bedankte mich bei Scarlet, weil sie Natty auf dem Schulweg begleitet hatte. Und dann bedankte ich mich, weil sie Win gebeten hatte, zu seinem Vater zu gehen.
»Win? Damit hatte ich nichts zu tun. Win ist von alleine zu seinem Vater gegangen«, sagte sie.
»Aber irgendwas musst du doch damit zu tun gehabt haben«, hakte ich nach.
»Wir haben natürlich über dich gesprochen«, sagte Scarlet. »Aber er hat mir nicht erzählt, dass er zu seinem Vater gehen wollte, und ich hab ihn auch nicht darum gebeten. Ich hatte es überlegt – ach, mach doch nicht so ein überraschtes Gesicht, Annie! Ja, deine einfältige beste Freundin denkt tatsächlich gelegentlich auch mal nach. Ich hatte es überlegt, aber dann doch davon abgesehen, weil ich mir nicht sicher war, ob es für dich nicht alles noch schlimmer machen würde.«
»Warum hat Win es dann getan? Wir kennen ihn doch kaum.«
Scarlet verdrehte die Augen. »Du kommst bestimmt noch auf den Grund.«
Das ärgerte mich. Ich wollte Win nichts schuldig sein. Schon gar nicht nach dem Gespräch, das ich mit seinem Vater gehabt hatte.
»Jetzt hör doch mal auf mit dem Stirnrunzeln! Ist doch kein großes Geheimnis. Win mag dich, Annie. Er will einfach nur seine Laborpartnerin zurückhaben. Und vielleicht ein Dankeschön hören. Und sich mit dir zum Herbstball verabreden.«
Ich seufzte.
»Ach, arme Annie, der total süße neue Junge mag sie«, neckte Scarlet mich. »Ihr Leben ist ja soo tragisch.« Theatralisch ließ sie sich aufs Bett fallen.
»Ich war in einer Besserungsanstalt, weißt du?«, erinnerte ich sie.
»Ich weiß«, flüsterte sie. »Hab dich nur geärgert.« Ihre großen blauen Augen füllten sich mit Tränen. Man konnte Scarlet schnell zum Weinen bringen. »Mir tut das alles so leid, was mit dir passiert ist. Es ist wirklich furchtbar. Ich kann es mir nicht mal ansatzweise vorstellen. Ich wollte dich nur zum Lachen bringen.«
Ich lachte tatsächlich. Ihr Gesichtsausdruck war so niedlich und verzagt.
»Als ich eben ins Zimmer kam, konnte ich kaum glauben, wie zerbrechlich du aussahst. Natty hatte mich zwar vorgewarnt, aber … War es so schlimm?«, fragte Scarlet.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich war nicht darauf erpicht, die Zeit in Liberty für Scarlet oder sonst jemanden Revue passieren zu lassen. »Ich bin tätowiert worden.« Ich schob meinen Socken hinunter und zeigte ihr den Strichcode an meinem Knöchel.
»Das ist ja total heftig«, bemerkte Scarlet.
Ich zog den Socken wieder hoch. »Wie geht es Gable?«
»Er wird’s wohl überleben«, sagte Scarlet. »Chai Pinter hat gehört, dass ihm Gesichtshaut transplantiert werden musste. Durch das Fretoxin ist wohl ein Teil der Haut abgefallen oder so.«
»O Gott.«
»Na ja, Chai ist nicht gerade die zuverlässigste Quelle. Ich weiß nicht mal, woher sie ihre ganzen Informationen haben will. Ich glaube, das meiste denkt sie sich aus. Die Rektorin sagt, dass Gable frühestens zu Beginn des nächsten Halbjahrs an die Schule zurückkommt. Er ist irgendwo im Norden des Bundesstaats in einer Reha-Klinik«, erklärte Scarlet. »Er ist wirklich fast gestorben, Annie.«
»Meinst du, ich sollte ihm eine Karte schicken?«, fragte ich. »Oder ihn besuchen?«
Scarlet zuckte mit den Achseln. »Gable war mies. Er war gemein zu dir. Und ein kranker Gable ist wahrscheinlich noch gemeiner.« Wieder zuckte sie mit den Schultern. »Aber wenn du unbedingt willst, kann ich dich begleiten. Du solltest nicht alleine hinfahren.«
»Na, ich wollte ja nicht direkt morgen aufbrechen. Vielleicht im November?« Ich musste jede Menge Schularbeiten nachholen und hatte hier genug eigene Probleme.
Leo kam herein. »Hi, Scarlet! Natty hat gesagt, dass du hier bist.« Er nahm sie in die Arme. »Du siehst schön aus!«
Scarlet trug eine Jogginghose und ein T-Shirt, was für ihre Verhältnisse sehr lässig war. Ihr blondes Haar war offen und ungekämmt. Sie war auch nicht geschminkt. Vielleicht war es das, was Leo schön fand. Scarlet hatte einen hervorragenden Teint, den sie aber normalerweise überschminkte. »Oh, danke, Leo!«, sagte sie. »Um ehrlich zu sein, hab ich mich nicht gerade schön gefühlt, aber nach deinem Kompliment jetzt schon.«
Leo errötete. »Du bist immer schön, Scarlet. Ich glaube, du bist vielleicht das
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