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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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schönste Mädchen der Welt.«
    »He, he!«, machte ich.
    »Du bist familienschön«, sagte Leo zu mir. »Scarlet ist wunderschööön …«
    Scarlet und ich mussten lachen, was Leo nur noch roter anlaufen ließ.
    »Imogen sagt, du sollst jetzt gehen, Scarlet«, richtete Leo aus. »Annie braucht ihren Schlaf.«
    »Ich tue doch die ganze Zeit nichts anderes!«, protestierte ich.
    »Sie hat gewusst, dass du das sagen würdest«, entgegnete Leo. »Ich soll das überhören.«
    Scarlet stand auf und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Ich hole dich Montagmorgen ab, dann können wir zusammen zur Schule gehen.« Als sie mein Zimmer verließ, küsste sie auch Leo auf die Wange. »Danke für das Kompliment, Leonyd.«

    Am Sonntagnachmittag kam mein Onkel beziehungsweise Nanas Stiefsohn Yuri Balanchine (in anderen Worten: das Familienoberhaupt) bei uns vorbei. Onkel Yuri war nur ungefähr zehn Jahre jünger als Nana und humpelte, was, wie Daddy mir mal erklärt hatte, von einer Kriegsverletzung stammte. Es musste seit unserer letzten Begegnung schlimmer geworden sein, da er jetzt auf den Rollstuhl angewiesen war.
    Onkel Yuri besuchte Nana hin und wieder, doch am Sonntag kam er nicht, um sie zu sehen. Er kam wegen mir.
    Onkel Yuri roch immer nach Zigarren, er hatte eine heisere Stimme vom jahrelangen Rauchen. Begleitet wurde er von mehreren Bodyguards, von Jacks, seinem Sohn von der Prostituierten, und von Mikhail Balanchine, seinem »rechtmäßigen« Sohn und Erben. Onkel Yuri wies alle an, im Flur zu warten. Mikhail meldete sich: »Dad, kann ich nicht bleiben?«
    »Nein, Mickey, du gehst auch hier raus«, sagte Onkel Yuri. »Ich habe mit meiner Nichte etwas Privates zu besprechen.«
    Ich setzte mich aufs Sofa.
    »Kleine Anya«, sagte Onkel Yuri, »du bist ja eine richtige Schönheit geworden. Komm mal näher! Lass mich dich bewundern, mein Schatz.« Ich beugte mich vor, und er strich mir über die Wange. »Ich kann mich noch an den Tag erinnern, als du geboren wurdest. Wie stolz dein Papa war!«
    Ich nickte.
    »Leonyd – Gott sei seiner Seele gnädig – fand, du wärst das schönste Baby der Welt. Ich hab das damals nicht erkannt, aber jetzt weiß ich, dass er wusste, wovon er sprach.« Onkel Yuri seufzte. »Es tut mir leid, dass ich dich und Galina nicht öfter besuchen komme. Diese Wohnung birgt viele traurige Erinnerungen für mich.«
    »Für uns alle«, sagte ich.
    »Ja, natürlich«, bestätigte er. »Wie gedankenlos von mir. Für dich ist es ja noch viel schlimmer als für mich. Aber heute bin ich aus einem anderen Grund hier. Ich wollte über die Sache mit dem jungen Mann sprechen.«
    »Gable Arsley, meinst du?«
    »Ja«, sagte Onkel Yuri. »Ich wollte mich entschuldigen, weil ich mich letzte Woche nicht eingeschaltet habe. Da die Sache mit Balanchine Chocolate zu tun hatte, war der Großteil unserer Beziehungen zum Gesetzesvollzug auf Eis gelegt. Ich hatte Sorge, dass du ein Faustpfand für den Staatsanwalt werden könntest, wenn ich mich einschaltete. Der Stellvertreter ist neu, und wir wissen noch nicht, ob er uns wohlgesonnen ist.«
    Er sprach von Wins Vater. »Hat ja schließlich doch funktioniert«, sagte ich.
    »Ich möchte dir versichern, dass du immer in meinen Gedanken warst. Du bist die Tochter von Leonyd Balanchine, wir würden dich nicht im Gefängnis verkommen lassen.«
    Ich nickte, aber sagte nichts. Das waren schöne Worte, mehr aber auch nicht.
    »Ich weiß genau, was du jetzt denkst. Schöne Worte von dem alten Herrn, aber was habe ich davon?« Onkel Yuri beugte sich vor. »Ich weiß, dass du ein kluges Mädchen bist. Du hast dieselben wachen Augen wie dein Vater.«
    »Danke«, sagte ich.
    »Du behältst alles für dich, so wie er. Du lässt dir nicht in die Karten gucken. Das bewundere ich«, sagte Onkel Yuri. »Ich bewundere diese Zurückhaltung bei einem so jungen Menschen.«
    Ich fragte mich, ob er das auch sagen würde, wenn er mich am ersten Schultag mit der Lasagne gesehen hätte.
    »Ich schäme mich«, fuhr er fort. »Ich habe das Gefühl, dass die Familie dich im Stich gelassen hat. Dass ich persönlich dich im Stich gelassen habe.« Onkel Yuri senkte den Kopf und dann auch die Stimme. »Ich möchte dir sagen, dass hier größere Mächte am Werk sind. Dunkle Dinge, die nicht in meiner Macht liegen. Ich muss der Sache mit der Schokolade auf den Grund gehen, danach kann ich versuchen, es wieder bei dir gutzumachen. Und bei deinen Geschwistern.«
    Er hielt mir die Hand hin, ich nahm sie. »Ich

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