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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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hatte mal gesagt: »Wenn du nicht weißt, was du glauben sollst, Annie, dann bist du eine verlorene Seele.« Mir wurde in diesem Moment etwas sehr Wichtiges klar. Es war sehr einfach gewesen, meine Jungfräulichkeit nicht für Gable aufzugeben, weil ich ihn nie richtig gewollt hatte. Anders ausgedrückt: Die Versuchung war nie sehr groß gewesen. Es fiel mir aber deutlich schwerer, mich an meine Prinzipien zu halten, wenn es um Win ging.
    In jener Nacht fragte er mich nach Sex, was ich davon halten würde und so weiter. Und ich sagte ihm, dass ich keinen Sex vor der Ehe wollte. Ohne mit der Wimper zu zucken, nickte er und sagte: »Dann lass uns heiraten.«
    Ich knuffte ihn. »Hast du es so was von nötig?«
    »Nein«, sagte er. »Ich hab schon Sex gehabt.«
    »Ich bin sechzehn! Und wir kennen uns kaum.«
    Er hielt mein Kinn in der Hand und sah mir in die Augen. »Ich kenne dich, Anya.«
    Er mochte es ernst gemeint haben, doch ich machte einen Witz daraus. »Du würdest mich wahrscheinlich nur heiraten, um deinen Vater zu ärgern.«
    Er grinste. »Na, das wäre auf jeden Fall ein zusätzlicher Pluspunkt.«
    »Was hast du bloß gegen ihn?«, fragte ich. »Ich finde ihn ganz okay.«
    »In Fünf-Minuten-Einheiten«, murmelte Win. »Du hast bestimmt gemerkt, dass er ziemlich ehrgeizig ist.«
    »Klar. War mein Vater auch. Nur in die andere Richtung. Aber trotzdem habe ich ihn geliebt.«
    »Er …«, setzte Win an, dann hielt er inne. »Ich bewundere meinen Vater. Er hat sich aus dem Nichts hochgearbeitet. Er ist in einem Waisenhaus aufgewachsen. Seine Eltern starben bei einem Autounfall, nur er hat überlebt. Er hält mich für zu weich, aber wer kann da schon mithalten?« Er sah mich an. »Ach ja, klar. Du kannst das, nicht wahr? Mein armes, mutiges Mädchen.« Er küsste mich auf die Stirn.
    Ich sagte ihm, dass ich nicht über mich reden wolle. »Warum hält er dich für weich?«
    »Weil ich vor längerer Zeit mal Ärger hatte … Langweiliger Kinderkram. Ist mir zu peinlich zu erzählen.«
    »Jetzt musst du es erzählen!«
    »Nein, meine Kleine, das ist peinlich. Außerdem ist es eh nicht besonders interessant. Es war nach dem Tod meiner Schwester, mir ging es so schlecht wie noch nie. Mein Vater hielt das für eine Schwäche und warf meiner Mutter vor, sie würde auch noch darauf eingehen.«
    »Verstehen sich deine Eltern gut miteinander?«
    »Dad sagt, der einzige Mensch, der ihn je geliebt habe, wäre meine Mutter …«
    »Sie macht einen netten Eindruck«, sagte ich.
    »Sie ist auch nett. Aber Dad? Er betrügt sie. Sie sieht darüber hinweg, aber ich kann das nicht. Ich meine, wie soll ich so einen Mann respektieren?« Dann wollte Win wissen, ob mein Vater meine Mutter jemals betrogen hätte.
    Trotz der zahlreichen Fehler meines Vaters war es unvorstellbar, dass er sich jemals so verhalten hätte. Ich sagte zu Win, dass ich es nicht genau wüsste, dass ich zu klein gewesen sei, aber es bezweifelte. »Er glaubte an die Ehe«, sagte ich.
    »Tut mein Vater auch, aber das hält ihn nicht davon ab, sich so aufzuführen«, sagte Win. »Ich würde dich niemals so behandeln, Annie.«
    Das wusste ich, auch ohne dass er es sagte. In der Hinsicht war Win perfekt.
    Ich könnte immer weiter von Win schwärmen, aber mich persönlich nervt so was schnell. Mein Vater hat immer gesagt, wenn jemand eine Glückssträhne hat, behält er es am besten für sich. Win kam mir wie der größte Glücksgriff vor, den ich seit langem gehabt hatte. Ja, ich war eine ganze Zeitlang glücklich. Ich war wie die Mädchen, die ich sonst verabscheute, und mir wurde klar, dass ich diese Mädchen immer nur aus einem Grund gehasst hatte, nämlich weil ich neidisch auf sie war. Ein Klischee? Zweifellos, aber zufällig traf es auch zu.
    *
    (Nebenbemerkung: Vielleicht fragt man sich nun: Was ist mit Leos neuem Job? Was ist mit der vergifteten Schokoladenlieferung? Mit der Tätowierung an Anyas Knöchel? Was ist mit Nanas Gesundheit und Nattys Albträumen? Nur weil Annie einen neuen Freund hat, kann sie doch nicht ernsthaft meinen, dass sie jetzt herumlaufen und alles und jeden ignorieren kann.

    Tatsächlich gab es ziemlich sicher Dinge, die meiner Aufmerksamkeit entgingen, aber damals passte ich nicht richtig auf. Selbst wenn ich über das nachdenke, was in den folgenden Monaten passieren sollte, würde ich diese ahnungslosen, glücklichen, süßen und umnebelten, gezählten Tage nicht zurückdrehen wollen.

    Korrektur: Einmal dachte ich an die

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