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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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Augen. »Du musst mir versprechen, niemals etwas Gefährliches oder Verbotenes zu tun. Du bist jetzt der Beschützer von Anya und Nataliya. Und damit äußerst wichtig.«
    Leo setzte sich auf und nickte feierlich. »Das verspreche ich.«
    »Gut«, sagte Mr. Kipling. »Was die Führung dieses Haushalts angeht, wird so gut wie alles so weiterlaufen wie bisher.« Das wusste ich natürlich schon. Eigentlich sprach Mr. Kipling mit Leo. »Euer Vermögen befindet sich in einem Fonds, den ich verwalte, bis Annie volljährig ist.«
    Leo stellte diese Regelung nicht in Frage, fühlte sich auch nicht dadurch beleidigt, wie Nana befürchtet hatte. Fraglos akzeptierte er alles, und das war eine große Erleichterung. Mr. Kipling war es gelungen, Leo das Gefühl zu vermitteln, wichtig zu sein. Eine Weile ging es so weiter, wir sprachen über Nanas bescheidene Beerdigung. Mr. Kipling bestand darauf, dass die Totenwache nicht in unserer Wohnung stattfand, sondern an einem anderen, nichtöffentlichen Ort, wo sich unsere Mafia-Verwandtschaft sicher fühlte, wenn sie unserer Großmutter die letzte Ehre erwies. »Mr. Green und ich werden uns darum kümmern.«
    Wir hatten alle naheliegenden Fragen so gut wie besprochen, als es an der Tür klingelte. Es war der Bestatter, der die Tote mitnehmen wollte. Leo entschuldigte sich und verschwand in seinem Zimmer. (Ich glaube, er hatte ein bisschen Angst vor Nanas Leiche.)
    »Gehen Sie doch mal nachsehen, ob der Bestatter Hilfe braucht!«, sagte Mr. Kipling zu Simon Green. Damit war er entlassen, und er wusste es auch.
    Der Anwalt schwitzte, deshalb schlug ich vor, nach draußen auf den Balkon zu gehen.
    »Wie steht es um Ihre Gesundheit?«, erkundigte ich mich.
    »Viel besser, danke sehr. Ich fühle mich zu zweiundsechzig Prozent normal. Keisha wacht über alles, was ich esse. Sie will verhindern, dass ich versehentlich etwas zu mir nehme, das Geschmack hat.« Väterlich legte er mir den Arm um die Schultern. »Ich weiß, wie sehr du Galina geliebt hast und sie dich. Ich weiß, wie traurig du sein musst.«
    Ich sagte nichts.
    »Ich mache mir Sorgen um dich. Weil du alles in dich hineinfrisst, Annie. Das ist nicht gesund.« Mr. Kipling lachte. »Auch wenn ich nicht gerade der Passende bin, um dir gesundheitliche Ratschläge zu erteilen.
    Annie, ich muss mit dir noch über etwas anderes reden. Ich spreche dich nicht gerne darauf an, aber ich habe keine andere Wahl.«
    »Hm?«
    »Der junge Delacroix«, sagte Mr. Kipling. Natürlich hatte auch er die Zeitungsberichte gesehen, so wie jeder. »Silverstein hat bekanntgegeben, dass er sich zur Ruhe setzen will, das heißt, Charles Delacroix wird mit Sicherheit sehr bald für den Posten des Leitenden Staatsanwalts kandidieren. Das wird die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn und alle in seinem Umkreis lenken.«
    Ich verstand, worauf er hinauswollte. Schon oft hatte ich darüber nachgedacht. Ich hatte es ja im November sogar selbst zu Scarlet gesagt. »Sie meinen, ich soll mit Win Schluss machen?«
    »Nein, ich würde mir niemals herausnehmen, so was zu verlangen, Anya. Aber das Timing – Galinas Tod, Leos Vormundschaft über euch und Mr. Delacroix’ politische Ambitionen – ist alles andere als ideal. Ich wäre kein guter Berater, wenn ich dir nicht wenigstens die folgende Frage stellen würde: Ist diese Beziehung die mögliche Aufmerksamkeit wert?«
    Mein Kopf sagte nein.
    Aber mein Herz …
    »Du musst jetzt nicht sofort darauf antworten«, fuhr Mr. Kipling fort. »Wir werden uns in den nächsten Wochen oft genug sehen.«
    Durch die Glastür sah ich Simon Green, der uns zurück ins Wohnzimmer winkte.
    Mr. Kipling entschuldigte sich für seinen Kollegen. »Das mit der Obduktion hätte er in Anwesenheit deines Bruders nicht vorschlagen dürfen. Simon meint es gut, er ist auch nicht dumm, aber er hat leider noch viel zu lernen.«
    Ich ging mit ihm zurück in die Wohnung, wo der Bestatter eine Unterschrift des Anwalts benötigte, mit der die Überführung von Nanas Leiche genehmigt wurde. In dem Moment wurde sie auf einer Bahre an uns vorbeigetragen, eingehüllt in einen schwarzen Vinylsack mit einem Reißverschluss, der sich der Länge nach über den Stoff zog. Als ich meine Großmutter so sah, kam mir der Gedanke, dass Nana nicht die Letzte Ölung bekommen hatte. Ich hatte Angst um ihre und um meine Seele.
    »Sie hat nicht die Sterbesakramente erhalten«, sagte ich zu Mr. Kipling. »Sie hat mir gesagt, sie würde bald sterben, aber ich habe nicht

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