Bitterzart
gut, dass alles so weit vorbereitet wurde, um diese Übergangsphase so einfach wie möglich für dich und deine Geschwister zu gestalten.« Mr. Kipling erklärte, er würde jetzt sofort mit Simon Green in unsere Wohnung kommen. »Ist Leo zu Hause?«
»Ja«, sagte ich.
»Gut. Er muss bei diesem Gespräch dabei sein.«
»Ich sorge dafür, dass er sich nicht verdrückt. Soll ich ein Beerdigungsinstitut anrufen?«
»Nein, nein«, sagte Mr. Kipling. »Darum kümmern wir uns.«
Ich legte auf.
Noch eben hatte ich das Gefühl gehabt, tausend Dinge auf einmal erledigen zu müssen, doch jetzt kam es mir vor, als hätte ich nichts anderes zu tun, als auf Mr. Kipling und Simon Green zu warten.
Ich wollte mich beschäftigen.
Ich überlegte, Win anzurufen, aber um ehrlich zu sein, wollte ich ihn nicht in der Nähe haben. Es war jetzt Zeit für die Familie.
Ich legte mich aufs Bett.
Ach, Nana. Wie oft hatte ich gehofft, dein Leiden wäre bald vorbei und du würdest sterben. Und wie oft hatte ich um das Gegenteil gebetet, hatte gefleht, du mögest ewig leben oder wenigstens so lange, bis ich alt genug wäre, um Nattys gesetzlicher Vormund zu sein.
Und jetzt war der Tag gekommen. Doch ich verspürte nichts außer einem Schuldgefühl, eben weil ich nichts spürte. Vielleicht hatte ich in meinem Leben zu viel Schlimmes gesehen. Andererseits hatten Leo und Natty das auch, und dennoch konnten sie weinen. Was stimmte nicht mit mir, dass ich keine Träne für meine Großmutter erübrigen konnte, die ich geliebt und die mich geliebt hatte?
Es klingelte an der Tür, was mich nicht störte. Diesen Gedankengang wollte ich eh nicht weiterverfolgen.
Ich ging öffnen: Mr. Kipling und Simon Green standen vor der Tür. Sie waren außergewöhnlich schnell gekommen.
Mr. Kipling, den ich früher als kräftig beschrieben hätte, hatte seit seinem Herzinfarkt sehr stark abgenommen. In seiner jetzigen Verfassung ähnelte er einem Teddybären, dem man die Füllung rausgezupft hatte.
»Annie«, sagte er. »Noch einmal mein herzlichstes Beileid. Galina war eine großartige Frau.«
Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns. Leo war immer noch dort. Seit Imogen gegangen war, hatte er sich nicht vom Fleck gerührt.
»Leo«, sagte ich.
Ausdruckslos starrte er mich an. Vom Weinen waren seine Augen fast zugeschwollen. Nicht im Entferntesten ähnelte er dem zuversichtlichen jungen Mann, den ich in den letzten Monaten in ihm gesehen hatte. Das machte mir Sorgen. Komm schon, Leo, dachte ich.
Ich begann: »Mr. Kipling und Mr. Green sind hier, um mit uns darüber zu sprechen, wie es nach Nanas Tod weitergeht.«
Leo erhob sich. Er putzte sich die Nase mit einem bereits durchnässten Taschentuch und sagte: »Gut, ich gehe nur kurz in mein Zimmer.«
»Nein«, widersprach ich. »Du musst hierbleiben. Du spielst eine sehr wichtige Rolle dabei, wie es nun weitergeht. Komm her und setz dich zu mir.«
Leo nickte. Er drückte die Schultern durch, ging zum Sofa und setzte sich. Simon Green und Mr. Kipling nahmen die beiden Sessel auf der anderen Seite des Couchtischs.
Zuerst besprachen wir Nanas Beerdigung. Das ging schnell, weil Nana schriftlich klare Anweisungen hinterlassen hatte: » Kein offener Sarg, kein teurer Sarg, keine chemische Konservierung, kein aufwendiger Grabstein, aber ich würde gerne neben meinem Sohn im Familiengrab in Brooklyn liegen.«
»Möchtest du, dass sie obduziert wird?«, fragte mich Simon Green.
»Simon, das halte ich nicht für notwendig«, wies Mr. Kipling seinen Kompagnon zurecht. »Galina ist jahrelang krank gewesen.«
»Ja, sicher …«, sagte Simon Green. »Was führte denn letztlich zu ihrem Ableben?«
Ich gab wieder, was Imogen über den Stromausfall gesagt hatte.
»Warum sprang das Notstromaggregat nicht an?«, wollte Simon Green wissen.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Du vertraust dieser Imogen aber, oder?«, fragte er. »Ist auch bestimmt niemand an sie herangetreten? Hat ihr vielleicht Geld gegeben oder so? Jemand, der einen guten Grund hatte, Galina Balanchine tot sehen zu wollen?«
»Wer sollte denn Nana tot sehen wollen?«, fragte Leo mit unsicherer Stimme.
»Simon, das ist absurd und unangemessen.« Mr. Kipling warf ihm einen warnenden Blick zu. »Imogen Goodfellow arbeitet bereits seit Jahren für diese Familie. Eine bessere und zuverlässigere Angestellte gibt es nicht. Und was die Umstände von Galinas Tod angeht: Es ist kein Geheimnis, dass sie unglaublich krank war. Es ist schon ein Wunder,
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