Bizarre Beziehungen - V 1.0
saß.
»Großvater«, sagte Anna Maria zu dem älteren Mann, »Großonkel Clive ist endlich angekommen.«
Neville Folliot sah vom Schreibtisch auf und lächelte den jüngeren Bruder an. »Wie schön, dich wiederzusehen, Clive. Möchtest du ein Glas Brandy?«
KAPITEL 21 - »Ich dachte, ich hätte das Äußerste erlebt!«
CIive starrte seinen Bruder wie betäubt und mit offenem Mund an. Er war außerstande zu sprechen.
»Bist du irgendwie taub geworden, Clive? Kannst du mich nicht hören? Ich habe dir einen Schluck zu trinken angeboten.«
»Was tust du hier, Neville? Ich habe dich zuletzt auf Tewkesbury gesehen, dich und Vater. Und Annabelle Leigh, meine Ur-Ur-Enkelin.«
»Aber Clive, du bist hergekommen, um mich zu sehen - nicht ich dich. Warum muß ich noch etwas erklären?« Nevilles Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, in das sich ein leicht hämisches Grinsen mischte.
Clives Gedanken rasten. War dies wirklich Neville - oder eine Kopie? Oder war er nur eine von den Ren oder den Chaffri geschaffene Illusion? Clive war auf alles das bereits gestoßen. Und er hatte bereits erfahren, daß der Vater beziehungsweise Großvater, den er auf Tewkesbury gesehen hatte, falsch gewesen war, genauso wie Annabelle Leigh - jene Annabelle Leigh, die ihn zum Landhaus gebracht hatte. Er starrte Neville an und versuchte zu entscheiden, ob er wirklich seinen Bruder vor sich hatte oder nicht.
»Was ist los, kleiner Bruder? Hat dir die kleine Miß Minnie die Zunge abgebissen?«
Die kleine Miß Minnie! Ja, das war eine Variante des Sprichwortes: Die Katze hat dir wohl die Zunge abgebissen ? Die kleine Miß Minnie war in Clives und Nevilles Kindheit ihr Schoßtier gewesen. Die Liebe zu dem kleinen schwarzweißen Kätzchen war eine der wenigen Gemeinsamkeiten gewesen. Beide Jungen hatten die kleine Katze angebetet, waren vernarrt in sie gewesen und hatten um ihre Zuneigung gebuhlt.
Keine Kopie konnte von der kleinen Miß Minnie wissen, kein Klon könnte diese Information besitzen. Bei einem Trugbild wäre das schwerer abzuschätzen. Wenn Neville wirklich ein Fremdwesen war, das Clive die Bilder und Erinnerungen aus dem Bewußtsein holte, könnte die gefühlsbeladene Erinnerung an die kleine Miß Minnie ein mächtiges Instrument zu seiner Beherrschung sein.
Wenn es nur jemanden gäbe, den er fragen könnte - jemandem, der ihm einen Rat anböte.
Eine geisterhafte Stimme flüsterte Folliot ins Bewußtsein. Clive, er ist echt.
Du Maurier? fragte Clive mental.
Nein, Clive. Ich bin's, dein Bruder Esmond.
Esmond? Aber woher weiß ich... wie kann ich vertrauen ...
Es kommen Zeiten, mein Bruder, zu denen man vertrauen muß. Man muß! Für dich ist diese Zeit gekommen, mein Bruder. Für dich ist diese Zeit genau in diesem Augenblick gekommen.
»Es war also dein Raum-Zug, der mit dem Wagen zusammenstieß, worin meine Gefährten und ich reisten?« fragte Clive Neville.
»O ja. Ich hoffe doch, daß niemand schwer verletzt wurde?«
»Daran hast du keinen Verdienst, Neville! Es war schieres Glück, daß Sidi Bombay und Horace Smythe und ich überlebt haben. Ich ...«
»Du hast die Bekanntschaft deiner Großnichte gemacht, sehe ich.«
»Wenn du so freundlich wärst, mich nicht zu unterbrechen, Bruder! Wir arbeiten im Interesse der gesamten Menschheit. Der gesamten Menschheit und noch anderer Wesen! Die Gennine ...«
»Bitte!« Neville hielt die Hand hoch. »Bitte, kleiner Bruder. Es tut mir leid, daß ich dich durcheinandergebracht habe. Ich verstehe, daß du verwirrt bist. Aber ...«
»Was ist auf Tewkesbury geschehen? Was ist geschehen, nachdem ich London verließ? Wo ist Annabelle? Was ist mit Vater?«
Neville unterbrach ihn erneut, indem er die Hand hochhielt. In einem seltsamen Augenblick der Geistesabwesenheit ertappte sich Clive dabei, wie er sich auf das komplizierte Muster konzentrierte, das in Nevilles Ärmelaufschlag verwoben war. Auf den ersten Blick waren die Metallfäden in einem völlig abstrakten und zufälligen Muster eingestickt, aber wenn man genauer hinsah, zeigte sich eine Ordnung in dem Muster. In den Kreisen und Streifen der Stickerei war die vertraute Sternenspirale verborgen.
»Bitte«, sagte Neville, »setz dich, und mach es dir gemütlich, kleiner Bruder. Wir sind keine Schuljungen mehr, die sich zanken. Wenigstens hoffe ich das.«
Clive kam innerlich kochend Nevilles Aufforderung nach. Die Brüder krallten die Blicke ineinander. Clive sagte: »Ich garantiere dir für nichts, Neville. Der Einsatz
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