Bizarre Beziehungen - V 1.0
sein wirkliches Alter betrachtete, nur etwa ein Dutzend Jahre älter als sie, obgleich sie in Wahrheit aufgrund der verdrehten Chronologie des Dungeon sein Nachkömmling war, etwa 144 Jahre später geboren als er.
»Welche Freude!« rief Clive aus. »Zunächst fürchtete ich, du wärst für immer auf der achten Ebene des Dungeon verschollen. Für immer verschollen - oder Schlimmeres! Und dann, als ich auf dieser Eisscholle am Pol stand und die Sonne auf den Flügeln des Flugzeugs glitzern sah, worin du den Japanern entkommen warst... Ich muß dich soviel fragen, meine liebe Annie! Aber jetzt zählt lediglich, daß du heil und gesund bist. Du bist nicht...?«
»Nein, mir geht's gut - wie du siehst, Clive.« Sie knickste vor ihm. »Und du siehst glänzend aus in deinem scharlachroten Anzug und mit glattrasierten Wangen!«
Wenngleich sie sich noch immer wie eine Frau benahm, die sich darauf vorbereitete, ins einundzwanzigste Jahrhundert zu gehen, war sie wie eine hübsche junge Dame des neunzehnten Jahrhunderts zurechtgemacht. Das Haar war ihr um die weiße Stirn geflochten. Das Gesicht war dezent geschminkt. Das Kleid war hell und leicht, um den Busen herum nicht zu sehr ausgeschnitten und in der Taille enganliegend. Sie war ein völliger Kontrast zu den beiden Huren, die Clive in der Spelunke betört hatten, und ein weiterer Kontrast zu der ernsten Madame Mesmer in ihrem hochgeschlossenen langen Kleid.
»Annie! Du mußt mir alles erzählen, alles, was geschah!«
»Das wird eine lange Zeit erfordern, Clive.«
»Aber zunächst - was ist dies für ein Wagen? Was soll das Ganze überhaupt? Wie bist du ins England des Jahres 1896 gekommen? Dies ist doch 1896, oder nicht? Ich sah du Maurier. Ich sah ihn als Mann von fünfzig Jahren. Jetzt ist er alt. Er sagt, er werde sterben. Er sagt, ich sei achtundzwanzig Jahre lang weggewesen.«
»Es ist in der Tat 1896, Clive. Setz dich, oder du wirst hinfallen!« Das Pulsieren des Motors war an Kraft und Energie angeschwollen, und Clive und Annie hatten in der Tat kaum noch Zeit, sich gemütlich Seite an Seite niederzulassen, ehe der Wagen wieder anfuhr und sie gegen die gepolsterte Lehne des sofaähnlichen Sitzes drückte.
Der Wagen beschleunigte und schoß schließlich mit hoher Geschwindigkeit dahin. Sie führen durch einen nahezu konturlosen Tunnel. Hier und da warf ein Lichtpaneel einen schwachen Schimmer durch die Düsternis. Hier und da erhaschte Clive einen Blick auf eine Abbiegung oder einen Seitenweg, der von ihrer Route abzweigte. Er hatte keine Ahnung, wohin diese Abzweigungen führten, und er stellte sich in seinen wildesten Überlegungen vor, daß sie mit verschiedenen Ebenen oder Teilen des Dungeon verbunden waren.
Und er hatte auch keine Ahnung, wohin ihr Wagen sie trug. Sie befanden sich allein darin, und weder er noch Annie taten irgend etwas, um das Vorankommen oder den Weg zu bestimmen. Es gab keine sichtbaren Armaturen.
»Annie, mein liebes Kind ...«, begann Clive.
Ehe er weitersprechen konnte, sagte Annie: »Clive, sag mir - hast du noch immer Nevilles Tagebuch?«
Clive klopfte sich die Kleider ab und durchsuchte die Taschen nach dem kostbaren Band. »Ich fürchte nein«, sagte er. »Als ich nach London versetzt wurde ...« Er hielt inne, um die Gedanken zu sammeln. »Auf der achten Ebene ... Du erinnerst dich, daß einige von uns zu Liliputanern geworden waren, andere zu Brobdingna-gianern.«
»Wie könnte ich das vergessen?«
»Glücklicherweise hatte ich, ehe ich zur neunten Ebene kam - oder zurück auf die Erde, was vielleicht dasselbe ist -, meine normale Größe zurückgewonnen.«
Sie nickte und ermunterte ihn fortzufahren.
»Ich fand mich auf dem arktischen Eis wieder, zusammen mit Chang Guafe. Kurz bevor ich ihn fand, flogst du mit der Nakajima über mich hinweg.«
Zu dem Flugzeug gab sie keinen Kommentar ab. Statt dessen fragte sie nach Chang Guafe. »Und er, Clive?«
»Wie ich annehme, liegt er dort auf dem Meeresgrund. Was aus ihm wird, weiß ich nicht.«
»Und du?«
»Der, nun, nennen wir ihn Raum-Zug, kam an, und ich kletterte an Bord und fand mich hier in London wieder. Im Jahr 1896. Umgeben nicht von Phantomen, sondern, soweit ich das sagen kann, von der Realität. Dich selbst eingeschlossen.« Er hielt inne, um Atem zu schöpfen und die Gedanken zu sammeln. Er spähte zu den durchsichtigen Wänden des Wagens hinaus.
Der Wagen hatte offensichtlich den Tunnel verlassen und fuhr jetzt auf einer ganz gewöhnlichen
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