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Bizarre Beziehungen - V 1.0

Bizarre Beziehungen - V 1.0

Titel: Bizarre Beziehungen - V 1.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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den nahezu kahlen Schädel, das rosige Gesicht ein Meer von Runzeln. »Jenkins?«
    »Jawohl, Sir.«
    »Ich freue mich, dich wiederzusehen, Jenkins. Und Frau Jenkins und die Kleinen?«
    »Die Frau ist noch immer in der Küche, Sir. Sehr freundlich von Ihnen, danach zu fragen. Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, werde ich Ihr die Grüße überbringen.«
    »Aber natürlich. Und ich werde vorbeikommen.«
    »Sie wird sehr glücklich sein, Sir. Und Sie haben nach den Kleinen gefragt. Sie sind jetzt erwachsen. Die junge Madeleine ist mit einem Rechtsanwalt in London verheiratet. Wir sind sehr stolz auf sie, Sir. Ich hoffe, Sie denken nicht schlecht von ihr, weil sie sich über ihren Stand erhoben hat, Sir. Und der Junge Tom ist nach Australien ausgewandert, um dort Schafe zu züchten.«
    »Das ist wundervoll, Jenkins. Wundervoll!«
    »Der Baron wünscht Sie in der Bibliothek zu sehen, Herr Clive. Wenn Sie sich dazu bereit fühlen, Sir. Wenn ich so frei sein darf, Sie sehen ein wenig zerzaust aus.«
    Annie sagte: »Ich habe was anderes zu tun, Clive. Ich seh dich später.« Sie verschwand durch einen verhängten Bogengang. Clive hatte sich gefragt, ob sie das Haus zuvor bereits besucht hatte; die Frage war jetzt dadurch beantwortet, daß Jenkins sie prompt wiedererkannt hatte und daß sie selbst offensichtlich mit der Anlage des Hauses bestens vertraut war.
    Jenkins führte Clive zur Bibliothek. Sein förmliches Verhalten war überraschend, aber Clive fragte nicht weiter nach. Interessanter war, daß Jenkins ihn augenblicklich erkannt hatte - und die Tatsache, daß er kein Wort über Clives jugendliches Aussehen verlor.
    Der Butler war während der vergangenen achtundzwanzig Jahre normal gealtert, während Clive nur um Monate gealtert war. Sicher hatte Jenkins die Veränderung an dem jungen Mann bemerkt - genauer gesagt, dachte Clive, das Fehlen einer Veränderung. Warum äußerte er sich nicht dazu? Jamie Cawder, der Bauer, der Clive und Annie in seinem Wagen mitgenommen hatte, war eine stumpfe Seele, die vielleicht gar nichts mitbekommen hatte. Aber Jenkins war ein heller Kopf. Daran erinnerte sich Clive von seiner Kindheit her.
    Es war unmöglich, daß Jenkins, der Clive im Jahre 1868 verabschiedet hatte, ihn im Jahr 1896 wieder im Haus begrüßen würde - und zwar einen Clive, der kaum älter als vor achtundzwanzig Jahren aussah -, ohne daß ihm daran etwas seltsam erschienen wäre. Vielleicht war es nur die dienstliche Zurückhaltung von Jenkins. Oder vielleicht war's - etwas anderes.
    Jenkins klopfte an der Tür zur Bibliothek. Eine Stimme rief etwas von drinnen, und der Butler öffnete die Tür für Clive, trat beiseite und schloß sie hinter ihm, nachdem Clive den Raum betreten hatte.
    Clive starrte wie vom Donner gerührt die beiden Männer an, die ihn erwarteten.
    Sein Vater, Arthur Folliot, Baron Tewkesbury, stand neben seinem hochlehnigen verzierten Stuhl hinter dem vertrauten Schreibtisch. Als Kind hatte Clive den Stuhl für einen Thron gehalten, und er hatte endlos darüber gesponnen, daß sein Vater König sei und er selbst ein Prinz, der sich heimlich auf diesem Thron niederließ, wenn niemand da war.
    Baron Tewkesbury war während der vergangenen achtundzwanzig Jahre in der Tat gealtert. Als Clive ihn zuletzt in England gesehen hatte, war der Baron ein rüstiger Mann in den späten mittleren Jahren gewesen. Im Dungeon war Clive seinem Vater erneut begegnet - oder einer Kopie des Mannes -, und er hatte sich wenig, wenn überhaupt, verändert.
    Aber jetzt war der Baron schockierend gealtert. Er war grau und gebeugt. Er hatte alle Haare und fast alle Zähne verloren, und er stand da - besser: er schwankte - und blickte Clive mit bleichen milchigen Augen an. Er hielt sich mit einer Hand am Stuhl fest, hob die andere und zeigte mit einem zitternden knochigen Finger auf Clive.
    »So«, brachte er mit einer Stimme hervor, die bitter klang vor Haß, trotz der zittrigen Schwäche, »der Verräter kehrt zurück.«
    »Ich, Vater - ein Verräter? Wie kannst du mich so nennen? Ich habe dich oder die Folliots niemals verraten. Du warst's, der mich stets verachtete, der mir die Schuld am Tod der Mutter gab. Und nach unserer Versöhnung im Dungeon glaubte ich, daß jetzt Frieden zwischen uns herrsche.«
    Der Baron starrte Clive wortlos an.
    »Nein.« Clive hielt sich die Hand vor die Augen. »Nein, das warst nicht du, nicht wahr, Vater? Ich erinnere mich jetzt. Ich erfuhr, noch ehe ich den Palast des Morgensterns verließ, daß ich

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