Black Bottom
unbelebt. Ãber dem Gebäude zeigte sich ein heller Schein, wo durch das sich nun langsam schlieÃende Schiebedach noch letzte Fetzen an Licht, Musik und Stimmengewirr in die Nacht strömten. Sándor klappte den Sakkokragen hoch, ihn fröstelte. Er trat an die Bordsteinkante; ein vorbeirasendes Automobil hupte anhaltend und machte einen Schlenker; der Fahrer trat die Bremse durch â doch nicht sei netwegen. Unmittelbar hinter Sándor schlug der Körper eines korpulenten Mannes mit Smoking auf den Gehweg; ein sonderbares Geräusch aus dem Klatschen des massigen Körpers, dem ReiÃen textilen Gewebes und einem fast hölzernen Brechen von Knochen an Armen, Beinen, Kopf.
Sándor Lehmann fuhr herum, aber da kam noch ein weiterer Mann durch die Nacht herabgestürzt; ein älterer Kellner diesmal, gefolgt von einem Glasregen und zwei weiteren panisch verzerrten Körpern, von denen einer noch auf den Beinen landete, die nachgaben, unter ihm brachen. Während Lehmann fluchend rückwärts stolperte und auf der StraÃe mehrere Autos ineinanderfuhren, deren Fahrer die Todessprünge gesehen haben mussten, war der ganze Lärm der Nacht mit einem Mal wie abgerissen, und Lehmann, der im Krieg schon Massenpaniken erlebt hatte, wusste, was jetzt kommen würde. Aus der Stille wuchs ein Geräusch, ein atemloses, tiefes Fauchen wie aus dem Erdboden selbst. Und dieses Fauchen wurde lauter und lauter, ein gellendes Schreien, ein einziger Schrei, unterlegt von dem dumpfen Getrampel Hunderter FuÃpaare â Menschen, die die Treppe heruntergestürzt kamen, herunterfielen, überrannt wurden, liegen blieben oder sich wieder aufrappelten und weiterliefen. Immer weiter, nur hinaus aus dem Inferno, das in wenigen Sekunden den Ballsaal der Femina in eine tödliche Falle verwandelt hatte. GAS, jetzt endlich schoss Lehmann das verfluchte Wort durch den Kopf, Gas war dort oben ausgeströmt, hatte die Panik ausgelöst. Gas, das die heruntergesprungenen Männer wohl noch aus dem Weltkrieg gekannt und an dem unverwechselbaren Geruch nach bitteren Mandeln erkannt hatten, eine tückische Blausäure-Wolke, die jetzt aus den zersplitterten Buntglasfenstern im Treppenhaus quoll, sich ausbreitete, weiter tötete, wen sie auf der Treppe liegend vorfand oder in eine Ecke gedrängt, in die Irre gerannt.
Sándor transformierte den eigenen Schock in einen hässlichen, gepresst herausgeschrienen Fluch; er hastete zwischen den Limousinen herum, versuchte die StraÃe für Sanitäter und Polizei frei zu bekommen, Schaulustige mit Gebrüll und Faustschlägen zu verjagen. Mit dem aus der Manteltasche gerissenen Klarinettenfutteral schlug er wie mit einem Schlagstock auf Autodächer, stoppte mit herrischen Rufen Fahrzeuge für Krankentransporte, verfrachtete Hustende und Erbrechende in die Automobile. Auf dem Bürgersteig vor der Femina lagen Verletzte, vielleicht Sterbende, die sich von der Eingangstür aus dorthin geschleppt hatten, und immer wieder rannten Menschen mit angstverzerrten Gesichtern in den stockenden Verkehr. Sirenengeheul jaulte auf, mit Gebimmel raste die Feuerwehr heran, kam kaum vorwärts und machte sich schlieÃlich viel zu schwerfällig daran, die groÃe Drehleiter auszufahren.
Urplötzlich knallten Schüsse los; Schüsse, die die Menge erneut entsetzt aufschreien lieÃen, bis man sah, dass ein Mann in Zivil, doch mit der gebieterischen Pose des Uniformgewohnten in die StraÃenmitte getreten war und mit einem groÃkalibrigen Revolver die Fenster im obersten Stockwerk des Gebäudes zerschoss, um dem giftigen Gas den Abzug in den trügerisch schönen Nachthimmel möglich zu machen. Es war Belfort, Lehmanns Kollege aus dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz; Belfort, der mitten in dem Chaos einen kühlen Kopf bewahrte und das einzig Richtige tat, um weitere Opfer zu verhindern. Binnen weniger Sekunden setzte jetzt über das Treppenhaus eine Kaminwirkung ein, die das träge absinkende Gas hochwirbelte und tatsächlich zu den geborstenen Scheiben hinauszog, frische Luft hineinlieà in die Todesfalle, die die Femina binnen weniger Augenblicke für viele geworden war.
Julian Fuhs hatte den Abend genossen, wie ein guter Koch ein Festessen genieÃt. Er nahm selbst nicht daran teil, sondern blieb Beobachter; er scharwenzelte nicht mit aufgestelltem Stehkragen um die versonnen blickenden Ballsaalschönheiten;
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