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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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schwadronierte nicht mit den anderen Kerlen an der Bar über seine Kriegserlebnisse – ohnehin hatte er ja die Kriegsjahre in den USA zugebracht und zu nennenswertem Heldentum keine Gelegenheit gehabt, wenn man das Überleben als Hungerkünstler in Chicago und New York nicht Heldentat nennen wollte. Nein, sein Posten war der hier oben am Bühnenrand, hinter sich die überwiegend reibungslos arbeitende Band, neben sich das makellos weiße Klavier, in dem sich Hunderte Glühbirnen und ein paar farbige Bühnenscheinwerfer zu einer Kaskade aus Licht mischten. Hier hatte er seinen Logenplatz, hoch über dem Treiben auf der Tanzfläche, und deshalb war er auch einer der Ersten, die die zischenden Rauchwolken bemerkten, wie sie mit großem Druck in unmittelbarer Bühnennähe in die Luft schossen. Erst dachte er an ein Feuer, dann sah er, wie die ersten Tänzer sich verzweifelt an die Gurgel griffen und zur Seite wankten, zusammenbrachen. Panik schwappte in einer rasend schnellen Welle durch den Saal, die durch die Warnrufe »Gas! Gas!« noch beschleunigt wurde. Eine Flucht über die von den fliehenden Massen geflutete Treppe war undenkbar; das Schiebedach war wieder zugefahren worden – diese Idioten, warum riss noch immer niemand den Hebel herum? –, aber man wäre sowieso nicht hinaufgekommen, um an die frische Luft zu klettern. Julian drehte sich von dem schrecklichen Schauspiel fort und schrie die Combo an, die wie er fassungslos auf das Geschehen gestarrt hatte:
    Â»Männer, Gasalarm, alle runter von der Bühne, nach hinten, los, los, los!«
    Zusammen polterten sie über die verschnörkelten Bühnenaufbauten und fallen gelassenen Instrumente und zwängten sich schließlich durch eine schmale Tür neben der rechten Treppe. In der Künstlergarderobe hinter der Bühne verstopften die Musiker jede Türritze mit ihren schillernden, in Streifen gerissenen Seidenwesten. Julian zählte durch; sie waren vollzählig – bis auf Sándor, der nach seinem letzten Solo im Saal verschwunden war. Minuten voller Angst vergingen; der Gasgeruch war auch hier drin überwältigend, und alle atmeten flach, um die Aufnahme des tödlichen Giftes wenn möglich zu minimieren. Nachdem ein Voraustrupp der Feuerwehr mit Gasmasken heraufgekommen war, das Saalverdeck geöffnet und mit den Ventilatoren der Klimaanlage die restliche giftige Luft vollends in den Berliner Abendhimmel expediert hatte, kamen die Musiker gerupft und erschüttert aus ihrem Versteck und stolperten fassungslos über die umgestürzten Restaurantmöbel und vereinzelte zusammengekrümmte Leichen hinunter auf die Straße.
    Sándor Lehmann und Belfort hatten unten auf der Nürnberger Straße der massenhaft eingetroffenen Verstärkung die Versorgung der Opfer und die Aufräumarbeiten überlassen und standen nebeneinander vor dem wie zum Hohn noch immer einladend illuminierten Eingangsbereich der Femina. Lehmann war erschöpft und stank nach der Kotze der in die Autos geleiteten Verletzten; sein besudeltes weißes Hemd hing ihm aus der Hose. Belfort kramte wieder die silberne Zigarettenspitze aus der Jacke und zündete sich eine Zigarette an, ohne Sándor, dessen Muratti irgendwo zertreten auf der Fahrbahn lag, ebenfalls die rote York-Schachtel anzubieten. Er schaute versonnen an dem Tanzpalast hoch, die jugendlichen Pausbacken noch zusätzlich aufgeblasen durch den Zigarettenrauch, der jetzt in einem druckvollen Schwall in den Nachthimmel geblasen wurde. Belfort drehte den Kopf zu Sándor Lehmann, der wie betäubt dem Abzug der Krankenwagen nachsah.
    Â»Was haben Sie denn hier gemacht, Lehmann? Noch gearbeitet?«
    Sándor war nicht nach Reden zumute, er wies mit dem Kinn auf die Femina. Belfort lächelte ein deplatziert feines, fast dümmlich wirkendes Lächeln und fragte ironisch nach:
    Â»Bisschen Negermusik angehört? Haben die Sie überhaupt reingelassen in diesem Aufzug?«
    Sándor Lehmann drehte, als merkte er erst jetzt, dass jemand neben ihm sprach, den massigen Schädel mit der deformierten Nase zu Belfort hinüber, taxierte ihn ein paar Sekunden wortlos, wandte sich um und ging über die scherbenübersäten Gehwegplatten Richtung Norden zum Tauentzien.

FRÄULEIN WUNDER
    Die Nacht war kurz gewesen, und Sándor hatte rasende Kopfschmerzen, als er wach wurde. Angewidert betrachtete er die abgestreiften

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