Black Bottom

anfängt.«
    Lehmann zuckte die Achseln. Im Trubel gestern Abend hatten Dutzende Gäste den Saal betreten und verlassen; er selbst, Bella … Nicht sehr wahrscheinlich, dass der Täter irgendwem aufgefallen war.
    Belfort schien in die gleiche Richtung überlegt zu haben; er nickte Lehmann zu.
    Â»Wenn einer weiß, wer hier gestern Abend nicht ins typische Bild passte, dann ist es dieses Faktotum unten am Eingang, der Türsteher. Den sollten wir uns als Allererstes vornehmen. Wir brauchen eine Liste von dem Kerl von allen, die er kannte. Stammgäste, fremde Paare, Einzelgäste. Von der Nutte bis zum kleinsten Taschendieb will ich detaillierte Beschreibungen. Sollte mich nicht wundern, wenn der Türsteher eine sehr klare Ahnung hätte, wer die Gasbombe hier heraufgeschleppt hat.«
    Belfort winkte die restlichen Polizeibeamten mit einem barschen »Meine Herren!« zum Abzug und überquerte die Tanzfläche wieder zur Treppe hin. Sándor überblickte noch einmal die Bühne. Julians Vollblutmusiker hatten ihre Instrumente selbst bei der überstürzten Flucht mitgenommen, nur das Schlagzeug von Charlie Hersdorf stand noch mit glänzenden Kanten und dem gleißenden Schimmern der Becken im Hintergrund, ein fast frivol lustiger Gegenstand in diesem Schreckensszenario. Er stieg hinunter auf die Tanzfläche, ging zickzack zwischen den umgestürzten Möbeln hindurch. Nah am Ausgang war ein Tisch wie durch ein Wunder unversehrt geblieben; im Schnapsglas war noch ein Schluck Cognac, und Sándor hob den Schwenker nachdenklich an die Nase. Der Gasgeruch war im Glasinneren hängen geblieben, das teure Gesöff roch nach Gewalt und nackter Angst, und er stellte das Glas geräuschlos wieder auf dem Tisch ab und folgte den anderen hinunter auf die Straße.

HALLSTEIN
    Es war alles andere als Hallsteins Glückstag, da bestand kein Zweifel. Nach dem Wortwechsel mit Sándor Lehmann hatte er eine Weile angestrengt nachgedacht und dann endlich geschlussfolgert, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Kommissare ihn ausgiebiger durch die Mangel drehen würden. Den berüchtigten Verhörmethoden am Alexanderplatz wollte er um keinen Preis ausgesetzt sein; und ob Sándor Lehmann ihr kleines Geheimnis hüten würde – die Hehlerei mit dem täglichen Diebesgut, das in den Bars und dem Ballsaal der Femina abgegriffen wurde –, das war jetzt, wo es um eine derartig kapitale Sache ging, auch zu bezweifeln. Deshalb hatte Hallstein sich auf vorsichtigen Sohlen dünnegemacht. Die Femina hatte einen mit Schuppen und Laderampen bebauten Hinterhof, und dorthin ging Hallstein jetzt. Nach ein paar Metern merkte er schon, dass er verfolgt wurde, und sah über die Schulter. Zwei Schutzmänner hatten bemerkt, dass ihr Kandidat den Tatort verlassen wollte, und folgten ihm zielstrebig mit einem schneller werdenden Trab.
    Hallstein fluchte und rannte mit seinen kurzen Beinen eine Rampentreppe hinauf, verschwand hinter ein paar Kisten und sprang auf eine Bierdroschke, die eben entladen wurde und deren Pferde gleichgültig auf der asphaltierten Hoffläche standen. Die beiden Beamten hatten sich aufgeteilt und die Laderrampe von zwei Seiten geentert; dass Hallstein über die Droschke zurück in den Hof sprang, sahen sie vermutlich erst, als er panisch auf eine schmale Hausdurchfahrt zurannte, einen Lieferanteneingang, der den Hof mit der benachbarten Passauer Straße verband.
    Gleich gegenüber vom KaDeWe trat Hallstein schwer keuchend auf die Straße, und in der glamourösen Nachbarschaft fiel er nicht nur wegen seines schweißüberströmten, roten Gesichtes auf; er war mit seiner nachlässigen Kleidung insgesamt ein deplatzierter Fremdkörper – ein Lebewesen der Nacht, das sich ins gleißende Sonnenlicht verirrt hatte wie ein Engerling, den ein Gärtner beim Gartenumgraben ans Tageslicht befördert hatte.
    Allerdings war das Sonnenlicht rund ums KaDeWe in diesen Tagen besonders gleißend, denn das berühmte Kaufhaus des Westens hatte die »Weißen Wochen« ausgerufen, Jahr für Jahr ersehnte Aktionstage, an denen viele Luxusgüter des Konsumtempels zu »Weißwaren« deklariert und preisgünstiger als sonst angeboten wurden. Das ganze Kaufhaus hatte sich in Weiß gewandet, weiße Stoffbahnen bespannten die Fassade, und auch die Stockwerke innen waren weiß dekoriert.
    Hallstein war stark kurzsichtig,