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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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wohlwollendes Nicken von Gennat einbrachte, weil für ihn aktuelle Informationen das Lebenselixier waren – Informationen und Stachelbeerkuchen, von dem soeben ein weiteres Stück in das breit lächelnde Buddhamaul wanderte.
    Der Kaffee kam, und Sándor Lehmann und sein neuer Kollege Belfort berichteten vom Mordanschlag in der Femina; beide aus erster Hand. Gennat hatte eine Fülle sehr detaillierter kleiner Fragen, eine ganze Menge spurensicherungstechnischer Wünsche und eine Handvoll bescheiden, aber mit klugen Begründungen vorgebrachter Vermutungen. Und so dauerte es eine geschlagene Stunde, bevor die zwei mit einem Hundeführer, einer Stenotypistin (also doch!, aber nicht aufklappbar) und zwei Hilfsbeamten über den Alexanderplatz Richtung Westen fuhren.

TATORT
    Sándor Lehmann hasste Tatorte. Tatorte waren was für Reporter, für Wichtigtuer in Uniform und all die anderen Knallchargen. Tatorte waren das, was nach einem Ereignis übrig blieb, der Abwasch nach einem Saufgelage, der Dreck, den jemand zusammenfegen musste. Sándor hasste es, wenn er selbst dieser Jemand sein sollte. Es machte ihm nichts aus, mit ein paar Unterweltjungs ein oder zwei Flaschen Schnaps zu trinken; er hatte Schießereien erlebt, bei denen neben ihm Leute von Maschinenpistolenschüssen zerfetzt wurden; und fast jede Festnahme geriet heutzutage zu einer knochenbrecherische Prügelei. Das war alles in Ordnung, das war das Leben, das er sich ausgesucht hatte. Aber Postenketten durchqueren – »Mordkommission, wir ermitteln, danke, Wachtmeister« –, dann unter den Augen der Schaulustigen den Neunmalklugen spielen: eine alberne Schauspielerei, inszeniert, um der Öffentlichkeit die beruhigende Gewissheit zu geben, dass die Obrigkeit für Recht und Ordnung sorgen würde. Was mitunter ganz und gar nicht der Fall war oder, neuerdings, viel zu sehr.
    Belfort dagegen schien die triumphale Einfahrt des Mordbereitschaftswagens in die abgesperrte Nürnberger Straße schlichtweg zu genießen. Die überlange Limousine – Gennat hatte vor drei Jahren Mercedes monatelang mit seinen Sonderwünschen auf Trab gehalten und einen wahren Frachtkahn von rollendem Büro bauen lassen – bog im Schritttempo vom Tauentzien nach links ab, wurde von den Schutzpolizisten sofort gesehen und durchgewunken und näherte sich der Femina auf der Mitte der geisterhaft leeren Straße. Lehmann überlegte, ob er den Schuppen überhaupt schon mal bei Tageslicht gesehen hatte: Wenn, dann im Vollrausch nach einer durchgemachten Nacht. Am Vormittag war das Gebäude noch immer imposant, aber der nächtliche Glanz der Neonreklame und des illuminierten Eingangs fehlte, und die Glasscheiben der breiten Messingrahmentüren waren von dem Ansturm der Fliehenden gestern Nacht gewaltsam eingedrückt. Glasscherben, Hüte, ein Schuh lagen herum, und die Tatortfotografen waren noch immer bei der Arbeit und fotografierten die Lage der nach dem Attentat abtransportierten Leichen und Verletzten, deren Umrisse sie mit Kreide auf den Asphalt gemalt hatten.
    Belfort fühlte sich offensichtlich gleich zu Hause in der Szenerie. Er klapperte die Einsatzkräfte ab, sprach mit den Fotografen, den Polizeitechnikern, schritt gewichtig vor dem Gebäude hin und her und ordnete an, noch die Fallhöhen der Fensterspringer zu messen und den Schusswinkel, mit dem er selbst – er selbst! – die Schüsse abgegeben hatte, die den Gasangriff beendet hatten. Sándor staunte. Wo hatte der Bursche diese monströsen Grundrisse her?
    Belfort faltete die großen Bögen auseinander und notierte seine Beobachtungen, also wollte er die Renovierung des gasverseuchten Etablissements gleich selber übernehmen.
    Sándor hatte sich seitlich in den Schatten des Eingangs gedrückt und an der Fassade entlanggespäht. Die Pförtnerloge war leer, aber neben der großen Treppe lehnte Fritz Hallstein mit verschränkten Armen und umwölkter Stirn. Lehmann winkte den Türsteher heran.
    Â»Hallstein, haben Sie durchgemacht? Wie sieht’s oben aus?«
    Hallstein grunzte ungehalten.
    Â»Die lassen uns nicht rein, der ganze Ballsaal ist abgesperrt, damit nichts verändert wird, bis ihr hohen Herren hier eintrefft. Wer ist der Typ dort drüben, ein neuer Kollege? Ich dachte, Sie haben hier allein den Hut auf … Ich finde, das riecht nach Ärger. Wie sollen wir es schaffen, den Schuppen

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