Black Bottom
mussten ihn umdrehen, um an seine Taschen zu kommen. Sehen Sie sich die Ferkelei an!«
Sándor starrte den Kollegen an. So viel eigenen Einsatz hatte er nicht erwartet; normalerweise lieà Belfort eher andere die Drecksarbeit machen. Aber offenbar hatte sich die Durchsuchung von Hallsteins Leiche gelohnt: Belfort hielt eine fleckige, wohl als Notizbuch benutzte Kladde in der Hand, die eine lange Liste von Namen enthielt, immer wieder ergänzt und durchgestrichen. Lehmann ging mit Belfort die Notizen durch und konnte etliche der krakeligen und zum Teil falsch und mit verschiedenen Schreibwerkzeugen offenbar auch in verschiedenen Stadien der Trunkenheit geschriebenen Namen zuordnen. Es war eine klassische Kunden- und Lieferantenliste, allerdings eine reichlich unsortierte. Notorische Taschendiebe und auch ein, zwei wirklich schwere Jungs wechselten sich ab mit offensichtlichen Käufern aus dem zweit- und drittklassigen Kunsthandel- und Juweliermilieu und diversen RotlichtgröÃen, die als eventuelle Abnehmer für Diebesgut infrage kamen. Eine dritte Kategorie war schwieriger zu interpretieren: gänzlich unbekannte Namen, aber auch Namen stadtbekannter Prominenter, Schauspieler, Bankdirektoren.
»Was soll der Quatsch? Hat Heinz Rühmann von Hallstein eine geklaute Uhr gekauft?«, brummte Belfort, aber Lehmann, für den Hehlerei ein Geschäft wie die meisten anderen war, hatte eine Lösung parat:
»Das wohl nicht. Aber vielleicht hatte er ein Interesse daran, seine eigene zurückzukaufen, wenn sie ihm in der Femina gemopst werden sollte.«
Belfort blickte finster in die Richtung der Nürnberger StraÃe, die man hier von der Passauer, Ecke Tauentzien aus nur erahnen konnte.
»Wirklich ein feiner Laden. Na, selbst schuld, wer hingeht.« Sándor Lehmann war unzufrieden; Hallsteins Liste bewies nur, was er selbst lange wusste: dass der Mann neben seiner Arbeit als Portier ein florierendes Geschäft betrieben und zum schlechten Ruf des Tanzpalastes seinen Teil beigetragen hatte. Doch einen Hinweis auf den gestrigen Vorfall oder eine Beteiligung Hallsteins hatten sie damit nicht in der Hand; wahrscheinlich hatte Hallstein nur aus Angst vor der Aufdeckung seiner Hehlerei die Flucht angetreten und sich letztlich in den Tod treiben lassen. Andererseits konnte es kein Zufall sein, dass oben hinter der Personaltür jemand mit einem rasiermesserscharfen Werkzeug auf ihn gewartet hatte; ganz offenbar war der Portier auf Abwegen jemandem auf die FüÃe getreten â oder er hatte jemanden beobachtet, der in der Femina partout nicht gesehen werden wollte. Auf dem menschenleeren Dächerlabyrinth traf sich allerhand dubioses FuÃvolk; wenn Hallstein dort oben seine Geschäfte gemacht hatte, hatte er seinen Mörder vielleicht schon früher dort getroffen, war vielleicht auch heute mit ihm verabredet gewesen.
Belfort hatte alle Namen noch einmal mit pedantischer Handschrift leserlich neben Hallsteins besoffenes Gekrakel geschrieben und tippte jetzt bedeutungsvoll auf den allerletzten in der Reihe.
»Jenitzki« stand dort, und den beiden Kriminalbeamten war der Name natürlich ein Begriff. Jenitzky â mit Ypsilon! â war Heinrich Liemanns chronischer Gegenspieler, eine Kneipen- und VergnügungslokalgröÃe aus der FriedrichstraÃe, ein alter Hase, dem man allerbeste Beziehungen in die Berliner Unterwelt nachsagte und der weit mehr als nur eine Leiche im Keller haben sollte.
Sándor schüttelte den Kopf über Belforts Entdeckung. Der Kneipenkönig Jenitzky und die feine Femina: Das passte zusammen wie ein Wildschwein und ein Seidenpyjama. Wie kam dieser Name auf Hallsteins Liste? Jenitzky hätte sich niemals in der Nürnberger StraÃe sehen lassen, also konnte ihm keine Uhr gestohlen worden sein oder der verchromte amerikanische 1888er Colt, den er Gerüchten zufolge immer mit sich herumschleppte. Dass der mächtige Mann der Friedrichstadt am Ankauf von Hehlerware interessiert sein könnte, war eine absurde Vorstellung. Nein, Hallstein musste Jenitzkys Namen aus einem anderen Grund auf seinem Zettel notiert haben, und Sándor Lehmann zermarterte sich den Kopf darüber, bis Belfort das Naheliegendste aussprach:
»Der Auftraggeber. Jenitzky hat den Anschlag beauftragt, Hallstein hat ihn ausgeführt â¦Â« Er hielt inne, schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Oder, noch wahrscheinlicher, er hat die ausführende
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