Black Bottom
bis um sechse wieder aufzumachen? Liemann reiÃt uns die Köppe ab!«
Sándor beugte sich zu Hallstein hinab und fixierte mit seinen wasserblauen Augen das empörte Gesicht des Türstehers.
»Zehn Tote, ein paar Dutzend Verletzte, ein Giftgasanschlag, von dem die Welt spricht â und du kleine Sackratte machst dir Sorgen, dass ihr nicht pünktlich aufmacht und dir ein halbes Stündchen vom Umsatz entgeht?« Er spuckte vor dem Livrierten auf den glassplitterübersäten Marmorboden. »Wirklich, dich sollten wir als Allererstes einbuchten. Einer muss die Schweinehunde schlieÃlich hochgelassen haben â DU musst sie reingelassen haben, Hallstein, die Gasmörder. Und Liemann â wo steckt der eigentlich? Mein Kollege da drüben hat schon den halben Morgen hinter ihm hertelefoniert. Wir haben ein paar dringende Fragen an ihn.«
Hallstein senkte den Kopf, schluckte den Ãrger schuldbewusst hinunter und war wieder der devote kleine Schmuckhehler.
»Der war in Paris. Wir haben ihm telegrafiert. Er ist auf dem Weg nach Berlin, mit dem Abendzug wird er ankommen, denke ich. Herr Lehmann, ich wollte â¦Â«, aber Sándor hatte den Mann schon stehen gelassen und ging langsam und ohne auf Belfort zu warten die geschwungene Treppe zum Ballsaal hinauf.
Der Ballsaal der Femina befand sich in einem Seitentrakt des Gebäudes; ein elegant geschwungenes Oval mit einer Galerie, von der plüschige Logen auf die glänzende Tanzfläche hinuntersahen. Der riesige Raum lag im Halbdunkel, als Sándor Lehmann die Treppe heraufkam. Der Gasgeruch hatte sich noch nicht verzogen, sondern sich mit dem Parfümduft, den Alkoholschwaden und dem Zigarettenrauch zu einer süÃlichen Melange verbunden, die das Atmen schwer machte und ihm das irritierende Gefühl gab, nicht allein im Raum zu sein, sondern andere noch anwesende Körper zu spüren, zu riechen. Von schräg oben fielen durch das einen Spalt breit geöffnete Panoramadach ein paar Sonnenstrahlen herein, und es war still, vollkommen still. Im Saal herrschte Chaos; Tische und Stühle waren umgefallen, überall blitzten Scherben der zerschmetterten Gläser und Champagnerflaschen, und die Hörer der Tischtelefone hingen bewegungslos unter den Automaten. Sándor wartete einen Augenblick schweigend, nahm den Saal als Ganzes auf, blinzelte durch die gleiÃenden Lichtstrahlen in das Dämmerlicht vor der Bühne und dachte nach.
Als er hinter sich auf der Treppe Schritte hörte, überquerte er die Tanzfläche, hielt vor der Bühne kurz inne, kletterte hoch. Belfort tauchte am anderen Saalende auf, gefolgt von fünf, sechs Männern der Bereitschaftspolizei, die er mit ausgestrecktem Arm in die verschiedenen Saalecken dirigierte. Lehmann stand auf der vorderen Bühnenkante; ungefähr da, wo er am Vorabend, versteckt hinter einem mächtigen roten Schnurrbart, seine Klarinette gespielt hatte, und sah den Ermittlungen des Kollegen zu. Diese Zielstrebigkeit widerte ihn an. Einen Plan haben, einmarschieren, aufteilen, durchkämmen: Die meisten Männer bei der Kriminalpolizei waren so, brachten eine militärische Laufbahn mit in den Dienst, besetzten einen Tatort wie ein friedliebendes Nachbarland, eroberten den Ort eines Verbrechens im Handstreich. Belfort beherrschte dieses Vorgehen in Perfektion, aber er brachte noch weitere Qualitäten mit â Effizienz, einen grenzenlosen Ehrgeiz und eine hellseherische, messerscharfe Kombinationsfähigkeit. Während die Bereitschaftspolizisten, zu denen sich jetzt auch der Hundeführer mit einem in der Duftdichte eher irritiert wirkenden Polizeihund gesellt hatte, noch mit der Akribie deutschen Beamtentums jede Stuhlunterseite untersuchten, jedes in der Panik liegen gebliebene Kleidungsstück anhoben und wendeten, kam Belfort selbst in einem weiten Bogen auf Sándor Lehmann zu. Plötzlich hielt er unmittelbar vor der Bühne auf seinem Kurs inne, verlangsamte den Schritt und bückte sich. Er pfiff. Die Polizisten blickten von ihrer Suche auf und starrten auf das schmale metallene Rohr, das Belfort, provisorisch in eine aufgehobene Stoffserviette gewickelt, in der Hand hielt. Sándor musste nicht erst von der Bühne heruntersteigen, um zu wissen, dass es die Gasgranatenhülse war, die sein Kollege mit spitzen Fingern aus den Trümmern herausgepickt hatte.
Während die Polizeitechniker das Corpus Delicti sicherstellten und
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