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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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eine Ausrede zu windig schien, ein Alibi zu dünn gewebt. Die Verhöre waren ausufernd und mühsam; neben der eigenen Anwesenheit in der Femina mussten die Festgenommenen auch erklären, wen sie erkannt, gesehen und gesprochen hatten. Welche »Kollegen« waren am fraglichen Abend auf der Pirsch gewesen, hatte man Prominenz erkannt oder Fremde, die durch auffällige Kleidung, ungewöhnliches Benehmen hervorgestochen waren? Für jeden der so Beschriebenen wurde eine Karteikarte in einem rollenden Karteikastenwagen angelegt, auf der sich im Lauf des Nachmittags Daten sammelten, kleine Beobachtungen, Vorlieben beim Trinken, Tanzpartnerinnen, Uhrzeit der Ankunft und Platzierung im Ballsaal im Augenblick des Geschehens. Der Karteiwagen rollte eifrig zwischen den Vernehmungsräumen hin und her. Je mehr all die Kleinkriminellen und Nachtschwärmer den eigenen Hals aus der Schlinge bekommen wollten, umso mehr Details fielen ihnen über andere ein, und gegen vier am Nachmittag lagen Lehmann und Belfort rund zweihundert Karteikarten über Gäste und über dreißig von Bediensteten, Kellnern und den Bühnenmusikern vor. Die Musiker selbst hatte Belfort nicht aufstöbern können, und Lehmann war froh darüber, dass Julian Fuhs, Arno Lewitsch und die anderen die Köpfe offenbar nicht aus Mutter Fuhs’ Versteck gereckt hatten, sondern abwarteten, bis der erste Sturm vorüber war. Auch Frauen waren nur als Ausnahme, als Beifang mit ins Präsidium gekarrt worden: Die Professionellen hatten sich längst dünngemacht und waren im Schutz ihrer Zuhälter von der Bildfläche verschwunden, und alle übrigen gehörten eher zum Geldadel der Reichshauptstadt und standen kaum im Verdacht, sich selbst und ihresgleichen mit einer Gasbombe ins Jenseits befördern zu wollen.
    Â»Niemanden erkannt? Wolln’se mich verscheißern, Männeken?« Der dicke Plötz, der wie eine erschöpfte Erdkröte hinter einem metallisch grünen Stahlschreibtisch thronte, hatte verbittert kopfschüttelnd die Arme vor dem imposanten Wanst verschränkt, und Belfort, der lautlos im Vernehmungsraum hin und her ging, kam näher, trat hinter den Delinquenten.
    Â»Na los, erinnern Sie sich mal ein bisschen, Mann … Welche Farbe hatten die Smokings der Kapelle?«
    Â»Rot«, versicherte der Befragte auf dem einsamen Holzstuhl in der Raummitte mit bebender Stimme, und da war schon Belfort hinter ihm und riss ihm fast das Ohr ab. Der Mann warf sich mit einem Schmerzensschrei zur Seite und fing sich gleich noch einen Fußtritt ein.
    Â»Rot?« Plötz schüttelte besorgt grollend den Kopf.
    Â»Weiß«, gab der Mann wimmernd zu, und Belfort zog hörbar die Luft ein, Luft, die nach Keller und Schweiß roch und nach den Unmengen von Zigaretten, die in den letzten Jahrzehnten hier unten geraucht worden waren.
    Sándor Lehmann drückte sich noch eine Weile untätig beobachtend in den Gängen herum, rauchte draußen noch mal eine Zigarette in der nach Teer und Frühlingsblumen duftenden Mailuft und bezog dann so langsam wie möglich einen weiteren Vernehmungsraum. Nacheinander wurden auch ihm die Festgenommenen hereingeführt; eine lange Reihe von Männern in zerdrückten, fadenscheinigen Anzügen, denen die Weltwirtschaftskrise in jeder Stofffalte zu hängen schien. Jeden Zweiten kannte er persönlich, jeden Dritten hatte er selbst schon mal eingebuchtet, und die meisten gaben kleine, unterdrückte Geräusche der Erleichterung von sich, wenn sie ihn erkannten: Nicht, weil Sándor Lehmann nicht auch schon mal ein Kehrblech mit Schneidezähnen bestückt hätte oder seine Hand eine Woche lang in eine Mullbinde wickeln musste, weil er sich an irgendeinem begriffsstutzigen Kinn die Knöchel blutig gehauen hatte. Aber Sándor Lehmann, der Bulle mit dem Ochsenkopf und den hellblauen Augen, spielte nach Regeln, die man verstehen konnte. Wer ihm half, kam glimpflich davon; nur wer bockte, kriegte die Fresse voll: So einfach war das. Sándor hielt nichts von der ganzen Festnahmeorgie; und in die Fresse kriegten nur wenige an diesem Nachmittag: ein, zwei aufgebretzelte Russen mit Offizierspatent, die sich wegen der guten Hammersteinschen Beziehungen zwischen der Wehrmacht und den sowjetischen Militärs für unangreifbar hielten und schon deshalb eines Besseren belehrt werden mussten; ein morphiumsüchtiger Nuttenmörder, der von

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