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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Tageslicht, der Kaffeeküche und Kantine. Es war eine Arbeit für Arsch löcher, und keiner riss sich darum, aber sie musste gemacht werden. Belfort hatte das Kellergeschoss, das sich unter dem Häuserblock des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz weit in die ansteigende Erdmasse des Prenzlauer Bergs schob, mit allerhand kleinen und großen Fischen gefüllt, die jetzt sortiert werden mussten. Im Zehnminutentakt hatte die grüne Minna Inhaftierte ausgespuckt, protestierende Familienväter, weinende Kleinkriminelle und verbissen schweigende harte Burschen. Oder was sich so dafür hielt. Denn wirklich hart blieben hier unten in den Katakomben nur wenige – alle anderen überlegten es sich auf halber Strecke, um nicht länger als unbedingt nötig in die Mangel genommen zu werden.
    Am Anfang stand die Bürokratie. Hansen und Schmitzke arbeiteten parallel, um den Andrang zu bewältigen. Name, Alter, Anschrift. Verwandtschaftsverhältnisse, Glaubensbekenntnis, Arbeitsverhältnis, Leumund. Auch hier unten hatte die moderne Rohrpost Einzug gehalten. Die Einkassierten wurden gemessen, gewogen und – vor einer Wand mit einem Schiebmaß nach Bertillon – fotografiert. Fingerabdrücke wurden abgenommen; die Daktyloskopie der feinen Rillen und Ornamente auf den menschlichen Fingerkuppen hatte Bertillons Körpermaß-Identifizierung als System zur Tätererkennung zwar im Grunde längst abgelöst; allerdings gab es ganze Kohorten von Wissenschaftlern, die die Kriminalpolizei belagerten und ganz erpicht waren auf alle Daten, die über Schwerkriminelle erhoben werden konnten. Wenn die Wissenschaft erst mal beweisen könnte, dass der durchschnittliche Sittenstrolch 1,72 groß und 68 Kilo schwer war, mit blauen Augen und schwarzen Haaren ausgestattet – dann würde man alle aktuellen und künftigen Täter ganz einfach auf der Straße festnehmen können. Oft, bevor die Tat überhaupt geschah oder die Täter überhaupt wussten, wozu sie imstande waren.
    Auch Schmitzke glaubte an die Physiognomie des Schwerverbrechers, und während er missmutig Maße in die Felder von Lochkarten piekste, schwadronierte er lautstark drauflos, woran man einen Berliner »schweren Jungen« erkennen könne: an der »Verbrecherfresse« nämlich, an »Blumenkohlohren« und »dieser platten Nase«. Sándor, der eben in den Raum getreten war, räusperte sich. Die Beschreibung traf auf ihn selbst zu. Schmitzke lachte dröhnend; er war eine rustikale Frohnatur und hatte ganz andere Vorstellungen von der Schwerverbrechererfassung als das Lochen der braunen Karteikarten, von denen eben wieder ein Dutzend in einem kleinen Rollwägelchen in die Rohrpost rutschten.
    Â»Hundert Jahre früher war die Arbeit noch ein Klacks, Chef«, verkündete er über den Kopf eines Delinquenten hinweg grinsend, »da hat man den Kerlen eine Nummer in die Arschbacken gebrannt, und wenn man mal wieder nach ’nem Schuldigen gesucht hat und wissen wollte, ob der Bursche schon was auf dem Kerbholz hatte, hat man ihm kurz mal die Hose übern Hintern gezogen und nachgesehen.«
    Er tätschelte dem Vernommenen – einem kleinen, ältlichen Mann, der schwer erkältet zu sein schien und auch vor Angst zusätzlich schlotterte – fast zärtlich die Wange.
    Â»War natürlich viel schlechtere Luft hier unten, nicht wahr? Die Kohlen, das Feuer, der heiße Stahl … und, zisch, das Brutzeln auf der Haut, verbrannte Haare …« Er lachte wieder lauthals, und der kleine Mann musste husten und fiel fast in Ohnmacht dabei.
    Sándor lachte kopfschüttelnd mit und sah zu Hansen rüber, der mit seiner kleinen Nickelbrille unter den buschigen Augenbrauen wie der Inbegriff eines Buchhalters aussah. Hansen ließ sich Zeit zwischen den Fragen, viel Zeit, und wer gelogen hatte, dem wurde jede Sekunde besonders lang.
    Lang waren auch die Flure, und jedes Geräusch hallte hundert Meter weit ins Halbdunkel hinein: Türenknarren, Furzen, metallische Schließgeräusche. Männer wurden von Wachtmeistern nach vorn zum Verhör gebracht, wieder abgeführt zu den Vernehmungsräumen. Von den Vernehmungsräumen wurden sie hinübergeleitet in die lange Reihe der Einzelzellen; geleitet, geführt – und mitunter auch getragen. In den Vernehmungsräumen war der dicke Plötz an der Arbeit, und auch Belfort selbst griff ein, wenn ihm

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