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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Pulverdampf, und es lagen 33 tote Zivilisten auf den Bahren. Hass und Rachedurst waren in alle Köpfe gebrannt wie noch nie zuvor.
    Die Polizeileitung hatte die Vorkommnisse anschließend in Dutzenden Gesprächen und Planspielen analysiert und, weil sie die Politik aus ihren Überlegungen ausklammerte, die hinter all dem Hass als Ursache stand, die Sache unbeholfen und unzureichend auf einen technischen Nenner gebracht. Nicht der nationalsozialistische Kommunistenhass weiter Teile der Polizei oder die aggres sive Aufhetzung durch den seit 1928 nicht mehr mit Redeverbot belegten Aufrührer Adolf Hitler, nicht die Verzweiflung der Arbeiter angesichts der immer verheerenderen wirtschaftlichen Lage und auch nicht der eifersüchtige Neid der Sozialdemokraten auf den Erfolg der Kommunisten bei den Arbeitern hatten die Situation so eskalieren lassen – die Bewaffnung, glaubten die uniformierten Analysten, war unzureichend gewesen. Zwischen Holzknüppeln und Maschinengewehren hatte einfach die richtige Technik gefehlt, und die sollte der rollende Badezuber dort unten im Hof jetzt zur Verfügung stellen: Wasser unter Hochdruck verschießen, streikende Arbeiter und randalierende SA-Männer gleichermaßen von den Beinen spritzen, die morsche Notverordnungsdemokratie der Weimarer Republik wässern, bis sie schwimmen lernte oder vollends absoff.
    Belfort befürwortete schlichtere Methoden. Für ihn war das beste Mittel gegen eine kommunistische Demonstration, die Teilnehmer schon ausfindig zu machen, bevor sie überhaupt stattfand – und kurzerhand einzusperren. Gewalttätige Demonstrationen konnte es eben nur geben, solange es überhaupt Demonstrationen gab. Am 1. Mai hätte er nicht die Wohnhäuser beschossen, sondern gleich auf die Köpfe gezielt. Nicht mit Wasserspritzen, sondern mit soliden Gewehrsalven aus soliden Waffen, die nicht erfunden werden mussten, sondern zur Verfügung standen. Deshalb erregte das archaische Spritzengefährt unten im Hof seine Heiterkeit. Technischer Firlefanz wie ein Wasserwerfer würde in Deutschland keine Zukunft haben; in ein, zwei Jahren würde kein Mensch mehr von diesem Unsinn sprechen. Das Ding war für Karnevalsumzüge zu gebrauchen, im polizeilichen Alltag gab es für Wasserwerfer keinen Platz.
    Sándor hingegen glaubte nicht an neue Technik, solange die alten, politischen Probleme nicht angegangen wurden, aber darüber mussten sie hier am Fenster nicht groß diskutieren. Unten regte sich jetzt das dunkelblaue Seeungeheuer. Mit einem röhrenden Beben sprang der schwere Motor an, der neben dem Antrieb des Fahrzeugs auch noch die Pumpanlage des Wasserbehälters mit Druck versorgen musste. Der Gefechtskopf drehte sich anderthalb Mal um seine Achse, und mit imposantem Wasserdruck wurden zur unüberhörbaren Freude der uniformierten Zuschauer ein paar Bürofenster eingeschossen. Es gab trotz des offensichtlichen Fehlschusses begeisterten Applaus unten im Hof. »Roter Wedding, wascht euch, Genossen, haltet die Seife bereit«, intonierte einer der Beamten mit dröhnender Stimme eine dümmliche Verballhornung eines populären neuen Arbeiterliedes, und Sándor stellte verblüfft fest, dass die fehlende Treffsicherheit der neuen Wunderwaffe den Umstehenden offenbar vollkommen egal war … solange das Ding nur ordentlich Druck auf dem Rohr hatte.
    Belfort hatte sich kopfschüttelnd wieder seinem Schreibtisch zugewandt; Sándor sah die akkurat gestapelten Vorgangsmappen und fragte beiläufig: »Und, wie läuft’s?«
    Der Kollege tippte der Reihe nach auf die Mappenstapel und zählte auf:
    Â»Hier sind die Ganoven, deren Namen wir aus Hallsteins Liste extrahiert haben. Eine erstaunliche Ansammlung von Abschaum und Gesindel; einen potenziellen Ehrenbürger hat Berlin mit dem Kerl jedenfalls nicht verloren. Wir haben auch noch zwei, drei Kellner aufgetrieben; die Vernehmung läuft noch; das wird die Zahl der unmittelbar Tatverdächtigen weiter aufstocken. Seit ein paar Stunden läuft die Fahndung nach den Namen auf der Liste auf Hochtouren. Wer greifbar ist, wird festgenommen; wer gemeldet ist, dessen Wohnung wird auf den Kopf gestellt. Es könnten dreißig, vierzig Mann werden insgesamt; Hansen und Schmitzke und zwei, drei andere sind unten schon an der Arbeit.«
    Belfort tippte auf den nächsten Stapel.
    Â»Hier liegen die Verdachtsfälle gegen Jenitzky aus den letzten

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