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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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gewürzten Geschmack, der die Zunge pelzig werden ließ und den Rachen rau. Womöglich war die Zigarette schon da gewesen, bevor es für unlösbare Aufgaben ein eigenes Wort gab, und man hatte schwierige Situationen einfach nach der Zigarette benannt: »Problem«. Jedenfalls gab es, wenn man intensiv über eine harte Nuss nachdenken musste, kein besseres Hilfsmittel als eine »Problem«, die den Straßenstaub aus den Augen spülte und jede falsche Sentimentalität aus der Lunge hustete.
    Also hatte Sándor sich vom Zigarettenmädchen eine »Problem« geben lassen und saß in einem monströs hässlichen Plüschsessel und dachte nach.
    Monströse Plüschsessel gab es im Moka Efti, Friedrich-, Ecke Leipziger Straße, in großer Zahl. Giovanni Eftimiades, genannt Efti, ein levantinischer Kaffeeröster, hatte die oberen zwei Stockwerke eines pompösen Versicherungsgebäudes zu einem Sultanspalast umgebaut – oder zu dem, was Besucher aus der Provinz, kleine Verkäuferinnen und Handlungsreisende für einen Sultanspalast halten mochten. Wildes Gekringel von Ornamenten, Kellnerinnen mit Burka und blankem Bauchnabel, dazwischen Säbeltänzer, Wasserpfeifen und ganze Waggons aus dem Orient-Express: So musste er aussehen, der Traum von tausendundeiner Nacht, den kleine Habenichtse und Klinkenputzer träumten und den sie hier mit großen Augen bestaunen konnten. Vor allem Hausierer und Handlungsreisende erholten sich im bunt gemusterten Plüsch von ihrem strapaziösen Alltag; es gab sogar einen Korrespondenzraum, von dem aus man ein Mindestmaß an Betriebsamkeit vortäuschen und Telegramme und Briefkorrespondenz aufgeben oder von geschäftig wirkenden Sekretärinnen tippen lassen konnte.
    25.000 Tassen Kaffee verkaufte das Moka Efti angeblich am Tag; vier davon hatte Sándor Lehmann getrunken, für die restliche Rekordzahl wollte er keine Wette eingehen – der Laden war halb leer, der Abend war noch jung, und aus einem gelangweilten Reflex hatte er schon begonnen, einer der Kellnerinnen Avancen zu machen, einer lang gestreckten, schmalen Person mit dünner Seidenhose und einem flachen, elastischen Bauch.
    Â»Haben Sie einen Vollbart unter Ihrer Maske, oder ist Ihr Gesichtchen so weich und entzückend wie Ihr Bauchnabel?« – verdammt, es war noch früh am Tag, man musste erst mal wach werden, um geistreichere Sätze abzusondern. Allerdings schien die Kleine mit der beiläufig platzierten Anmerkung ganz einverstanden zu sein; sie kicherte beifällig in einer erfreulich tiefen Tonlage. Leider beförderte die alberne Rolltreppe, ein Werbegag – »schweben Sie mit diesem technischen Wunderwerk in den siebten Himmel des Orients« – in diesem Moment die ersten »Follies« in das Etablissement, und Lehmann musste das vielversprechende Gespräch abbrechen, bevor es richtig begonnen hatte.
    Â»Bis wann müssen Sie denn hier Sultansdienst schieben? Vielleicht singen wir später noch das Duett aus der
Entführung aus dem Serail
?« Er hasste sich für diesen Schmalz; er war ein Draufgänger, kein Draufredner. Bei Frauen kamen ihm immer nur vorgestanzte Allgemeinplätze in den Kopf; allerdings fand diese hier das gar nicht so abgedroschen wie er selbst.
    Â»Vielleicht«, gab sie jedenfalls zurück und schlenkerte mit ihrer dünnen Seidenhose Richtung Getränkeausgabe, während die »Follies« ihr wohlwollend hinterhersahen und Arno Lewitsch mit den Lippen das Geräusch einer schmachtend wimmernden Geige machte.
    Diese Meetings – Julian Fuhs hatte das schicke Wort aus den Staaten mitgebracht, es klang nach soigniertem Club, nach Männerrunde und bedeutungsschweren Schlachtplänen – diese Meetings fanden vor jedem Konzert und nie am Ort des Auftritts statt. Der Bandleader wollte, dass sein Trupp im Konzertsaal eintraf, nicht lange an der Bar herumhing, sondern die Bude mit Schmiss und im Handstreich eroberte. Die dezidierte Planung des Auftritts fand in einem Café in der Nähe statt, und weil das Café Jenitzky hundert Meter nördlich ebenfalls in der Friedrichstraße lag, war das Efti der richtige Ort für ihre Vorbesprechung. Sándor war sehr einverstanden damit. Die bauchnabelfreie Bedienung hatte ihn einen Moment von seinem Problem abgelenkt, aber gelöst war es deshalb keineswegs.
    Er musste heute Abend mit den »Follies« auf der Bühne

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