Black Bottom
stehen, weil er es Julian versprochen hatte, weil er Bella wiedersehen wollte und weil es keinen besseren Ort als mittendrin gab, um Jenitzky auf den Zahn zu fühlen.
Und gleichzeitig musste er um punkt neun, wenn der Laden knüppelvoll war, Belfort vor dem Haupteingang treffen und die Razzia kommandieren.
Die Bandkollegen sollten nicht erfahren, dass er ein Kripomann war. Und Belfort, noch wichtiger, durfte um Himmels willen nicht mitschneiden, was er selbst oben auf der Bühne trieb. Nicht, weil der Kollege in seinem kulturellen Empfinden behelligt werden könnte durch die Erkenntnis. Sondern weil er Sándor einen Interessenskonflikt unterstellen würde, der nicht vorlag.
Sándor zog noch einmal an der viel zu kurz gerauchten »Problem« und warf das Ding dann qualmend in einen Standaschenbecher in Minarettform. Er hatte den Gasgeruch von gestern Nacht noch immer in der Nase, und er würde den verdammten Schweinehund, der das verbrochen hatte, schnappen und an den Galgen bringen, und wenn es â wenn es jemand wie Bella wäre â¦
Bella stand neben ihm; zum zweiten Mal sah er ihre Beine zuerst, sprang auf und schob ihr, weil sie offenbar darauf wartete, einen Plüschsessel an den niedrigen Rauchtisch aus getriebenem Silber, den Julian sofort mit Notenblättern und kleinen Notizzetteln überschwemmte. Sie gingen die Stücke durch; erwartungsgemäà hatte der Leader eine zahme, massentaugliche Melange angerührt, um das eher konservative Publikum im Café Jenitzky nicht zu erschrecken. Zwei Tangos, für die Julian am Nachmittag neue Arrangements geschrieben hatte und deren Kohlepapierabzüge er jetzt verteilte, riefen den Unwillen des Drummers Charlie Hersdorf hervor, aber Bella legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm und sang die ersten Textzeilen von Juan Llossasâ bekanntester Tangoschnulze:
»Abends in der kleinen Bar / spielt die Margaret â¦Â«
Charlie grunzte besänftigt; es war nicht ganz klar, ob das Handauflegen diese Wirkung gehabt hatte oder Bellas samtige, beim Tango von einem hispanoiden Timbre gefärbte Stimme.
»Oho, spanisches Blut in den Adern, Margaret?«
Sándor konnte sich den spöttischen Kommentar nicht verkneifen, aber Bella lieà die geografische MutmaÃung nicht auf sich sitzen und gab lächelnd mit einem unverkennbaren Berliner Unterton zurück:
»Sándor ist auch kein richtiger Weddinger Hinterhofname wie Atze oder Kutte oder Paule. Da ist wohl der Zigeunerbaron über die Panke geritten gekommen zu Muttern Lehmann, oder?«
Die Männer lachten; Sándor lieà es auf sich bewenden und ärgerte sich nur über die leichte Röte, die an den tatsächlich ungarischmarkanten Wangenknochen spürbar aufflackerte.
Nein, ein Zigeunerbaron war es nicht gewesen, zu dessen ehrendem Angedenken das einzige Kind von Mutter Lehmann den ungarischen Vornamen bekommen hatte. Kein Zigeuner und auch kein Baron. Oder jedenfalls kein Adeliger, höchstens ein WeiÃblechbaron, ein Industrieller mit Monokel, Taschenuhr und Nadelstreifenweste über einem bedrohlich hervorgewölbten Bauch, ein Zigarre rauchender, Zwiebeln fressender Fettwanst, der für Thyssen und Krupp für niedrige Löhne verzinnte Vorprodukte in den verdreckten ungarischen Industriestädten herstellen lieà und die Metallmassen auf Frachtkähnen ins Deutsche Reich brachte â oder eigentlich überall hin in der Welt. Mit Bierfässern aus Blech hatte er angefangen; der Siegeszug der Konservendose hatte ihn ein Imperium aufbauen lassen, das überall dort Handelsniederlassungen hervorbrachte, wohin Schiffe die tonnenschweren Walzen dünnen Blechs bringen konnten. Der Weltkrieg hatte nicht nur die Granaten in Verdun, sondern auch die Produktion von Patronenhülsen, von Soldatenproviant und Gasmaskendosen explodieren lassen, und an jeder einzelnen hatte der WeiÃblechbaron ein paar Pfennige mitverdient und, reich geworden, den Firmensitz schlieÃlich aus Ungarn nach Berlin verlegt. Mutter Lehmann hatte bei dem geschäftigen Mann als Aufwartefrau, als Zugehfrau oder, wie sie im Wedding weit weniger gestelzt gesagt hatten, als Putze gearbeitet und war mit einem ganzen Schwarm anderer Hausbediensteter jeden Morgen mit der Tram über Christiania- und SeestraÃe Richtung Charlottenburg gefahren.
Die Lehmannsche â zu dieser Zeit um die Jahrhundertwende auch schon an die vierzig und vom arbeitsamen
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