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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Heinrich Liemann, ein kleiner galizischer Jude, der Weltstadt Berlin endlich einen angemessenen, eleganten Tanzpalast schenkte, in dem die moderne Musik der ganzen Welt – und namentlich Amerikas – tagtäglich auf der Bühne sein würde.
    Jetzt, nach dem Gasangriff auf sein Kleinod, wusste Liemann instinktiv, dass die Femina so schnell wie nur möglich wieder öffnen musste. Beschossen, geschlossen, vergessen: Dieser Zwangsläufigkeit konnte er nur entgehen, wenn sein Tanzpalast heute Abend in seiner ganzen strahlenden Größe wieder aufmachen würde; strahlender als zuvor, selbstbewusst und unangreifbar. Von diesem Entschluss an vervielfachte sich sein telegrafisches Sperrfeuer noch. Ganze Kohorten von Handwerkern wurden beauftragt; eine Plakatdruckerei druckte und plakatierte noch im Lauf des Nachmittags auffällige Werbeposter, mit denen die Litfaßsäulen der halben Stadt beklebt wurden, und die Tresenkräfte und Barmädchen, die nicht von der Kripo festgenommen worden waren, wurden angewiesen, alle Gäste mit einem kostenlosen, hochalkoholischen »Wiedergeburts-Cocktail« zu begrüßen, der den Verunsicherten die Angst nehmen sollte und die Brieftasche lockern für den weiteren Getränkegenuss.
    Musik musste her! Julian Fuhs hatte mit dem Hinweis auf ein anderes Engagement abgesagt – ausgerechnet bei Jenitzky, dem Erzrivalen, dem Liemann gut und gerne den gestrigen Angriff zutraute, spielte der Mistkerl heute. Immerhin konnte Lieman Juan Llossas mit seiner Kapelle anheuern; der deutsche Tangokönig hatte jahrelang die Dachterrasse des Eden bespielt und war ihm mehr als einen Gefallen schuldig. Und die zwei Frenks, ein tanzendes Komikerpaar, würden auf der wiederhergerichteten Tanzfläche mit ihren lustigen Verrenkungen jede Erinnerung an den Gasangriff Vergessen machen. Ferry Koworik, der Clown, würde im Foyer auf Posten sein und jeden Gast einzeln mit seinen derben Späßen auf unterhaltsame Stunden einstimmen. Wenn der heutige Abend ein leidlicher Erfolg war, hatte er gewonnen.
    Am Bahnhof Zoo stand Sándor Lehmann auf dem Bahnsteig, und er musterte den Eintreffenden mit einem steinernen Gesicht. Wenn Liemann gehofft hatte, von ihm etwas über die Stimmung im Kripo-Hauptquartier zu erfahren oder ihm Interna aus Gennats Allerheiligstem zu entlocken, hatte er sich geirrt. Sándor war stocksauer. Wie kam Liemann auf die Idee, den Laden noch heute Abend wieder aufmachen zu wollen? Die ganze Polizei Berlins suchte nach einem verrückten Gasmörder, und anstatt mit ihnen zusammenzuarbeiten, ihnen Hinweise zu geben, ob er sich Feinde gemacht hatte – Sándor lachte höhnisch, als er es aussprach, denn natürlich hatte Liemann Feinde, jede Menge und schon immer –, ob er sich also irgendwelche NEUEN Feinde gemacht hatte außer den Gewerkschaften, den Kommunisten, den Sozialisten, den Nationalsozialisten, der evangelischen und katholischen Kirche, den Berliner Gastronomen, der Presse, den Nachbarn, dem Personal … Sándor blieb die Puste weg bei der ausschweifenden Aufzählung. Anstatt mit ihnen zusammenzuarbeiten, machte er die Femina einfach wieder auf und riskierte damit womöglich einen zweiten Angriff, weitere Tote – ein Risiko, für das er selbst, Liemann, geradezustehen haben würde.
    Heinrich Liemann hatte die Tiraden des Polizeibeamten über sich ergehen lassen, und die beiden Männer starrten sich im fahlen Gaslicht des Bahnsteigs an wie zwei Fremde. Sándor schüttelte den Kopf und wollte dem Gastronom einen halbversöhnlichen Klapps auf die Schulter geben, doch der öffnete die schmalen Lippen zu einem heiseren Kommentar, den Sándor trotz des Bahnhofsgetöses ringsum Wort für Wort mitbekam.
    Â»Ach wissen Sie, Lehmann, die Frage ist doch nicht, ob ich mir in Ihrer sauberen Stadt Feinde mache oder nicht. Die Frage ist, wie Sie mich vor Ihnen schützen. Statt mir hier Moralpredigten zu halten, was ich zu tun und zu lassen habe, sollten Sie den Burschen lieber zu fassen kriegen. Und wenn Sie Sorge um meine Gäste haben, dann schicken Sie doch ein paar Dutzend Polizisten zu unserer Sicherheit vorbei. Ich habe nichts dagegen, ganz im Gegenteil, ich spendiere der ganzen Truppe ein Fass Bier. Nur werfen Sie doch bitte mir nicht vor, dass ich die Sicherheit meiner Gäste nicht gewährleisten kann – denn die Sicherheit meiner Gäste ist Ihre Aufgabe, Ihre ganz

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