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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Henkell Trocken für happige zehn Reichsmark.
    In der Libelle war Heinrich Liemann zu seinem Faible für Tanzpaläste gekommen: Was in einer kleinen Kaschemme am Gendarmenmarkt funktionierte, das musste auch in ganz großem Stil funktionieren. Natürlich nicht rings um den Gendarmenmarkt; da betrieben schon Lokalgrößen wie Jenitzky oder Giovanni Eftimiades ihre Vergnügungslokale. Doch das waren aufgeblasene Kaffeehäuser mit ägyptischen Salons, Plüschsesseln und Rolltreppe, in denen Komiker als Kapellmeister agierten und das Besuchervolk aus der Provinz betrunken gemacht wurde. Nein, was Liemann vorschwebte, waren große, eher expressionistisch dekorierte Hallen, mondäne Showtreppen und breite, spotlight-bestrahlte Bühnen. Der Jazz war über den Ozean nach Berlin geschwappt, eine Massenhysterie, und wer jetzt die Zeichen der Zeit erkannte, konnte mit den Tanzwütigen ein Vermögen machen. Gesagt, getan. Heinrich Liemann nahm Anlauf, sammelte Erfahrungen – mit dem Eden-Hotel, dem Casanova – und krönte sein gastronomisches Werk mit der Femina, die sich, wenn man mit den Lieferanten hart verhandelte und sich vom Personal nicht auf der Nase herumtanzen ließ, noch zu einer ausgesprochenen Goldgrube entwickeln würde.
    Jedenfalls solange einem der Schuppen nicht vorher abbrannte oder wie gestern durch eine Gasbombe zur tödlichen Falle wurde. Heinrich Liemann hatte die Nachricht telegrafisch bei einem nächtlichen Dinner mit Josephine Baker persönlich erhalten. Die nackte Bananenstaude hatte 1926 Berlin in Ekstase getanzt, und seitdem versuchte er hartnäckig und bisher erfolglos, die Baker zu einem Auftritt in der Femina zu überreden. Seine Depeschen wurden nicht beantwortet, telefonisch war die Baker für ihn nicht zu sprechen, es war jahrelang nicht vorwärtsgegangen. Schließlich hatte Karl Vollmoeller höchstpersönlich ein Wort für ihn eingelegt; und Karl Vollmoeller – dem Flugpionier, Schriftsteller, Drehbuchautor und Talentscout, der die Dietrich für den Film entdeckt hatte – konnte nicht mal Josephine Baker einen Gefallen verweigern. Also hatte sie einem Dinner mit Liemann zugestimmt, und Liemann hatte sich nicht lumpen lassen. Sie hatten nicht mal das Hors d’œuvre gekostet, als die Nachricht aus Berlin eintraf. Eine Gasbombe! Die Baker war schockiert; in diesem Laden würde sie nie und nimmer auftreten. Liemann kam die Galle hoch, und er hielt sich nicht mit Höflichkeitsfloskeln auf, sondern rief eine Droschke zum Gare du Nord.
    Unterwegs im Zug hatte er Telegramme dutzendweise abgesetzt. An jedem Bahnhof wurden seine Depeschen in Empfang genommen und weitergekabelt. Hallstein antwortete nicht, vollkommen unverständlich, warum; die Kriminalpolizei äußerte sich nicht mal ansatzweise zu den Vorfällen, sondern wünschte im Gegenteil, ihn selbst dringend im Präsidium am Alexanderplatz zu den Vorfällen zu befragen. Sándor Lehmann, eigentlich ein zuverlässiger Kontaktmann, wenn es Probleme mit der Polizeiführung gab, schien nicht zu Hause zu sein, und ins Präsidium konnte er ihm keine Telegramme schicken, ohne dass ihre kleine informative Partnerschaft aufflog.
    Immerhin hatte die Femina selbst zurückgefunkt, ein kryptisches Telegramm wohl von einem der Kellner, nach dem »Hallstein abgestochen« und der »Ballsaal ein Trümmerhaufen« war. Heinrich Liemann hielt den Kopf zwischen beiden Händen; man war zwei Tage nicht in Berlin, und schon brach daheim der Krieg aus. Aber nicht mit ihm, er würde sich die Femina nicht einfach zusammenschießen lassen, dazu war er seinem Traum von Erfolg und Reichtum zu nah.
    Heinrich Liemann hatte ein untrügliches Gespür für das Empfinden der Öffentlichkeit; seine Reklamefeldzüge waren in ganz Berlin berühmt und berüchtigt. Bevor seine Rundfunkwerbung für die damalige Femina-Eröffnung ausgestrahlt worden war, hatte er zweihundert Hotelportiers einen kleinen Radioempfänger geschenkt – und einen Fünfmarkschein in Aussicht gestellt, wenn sie das Gerät zur richtigen Zeit anschalten würden. Hotelportiers machten einen langweiligen Job; ein Radioempfänger war für sie ein unerschwingliches und äußerst willkommenes Geschenk. Und so wusste mit einem Schlag die ganze Stadt, was Ullstein, Scherl und ihre Revolverblätter nur gegen teures Werbegeld verkündet hätten: dass

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