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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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schon das neu eröffnete Kaufhaus Karstadt ein Anziehungspunkt, den man gesehen haben musste. Berlins größtes Kaufhaus, größer als das KaDeWe, natürlich nicht so luxuriös, aber riesengroß; man konnte stundenlang zwischen all den Waren durch die Gänge laufen, die Eröffnungsangebote auf den Präsentationstischen betasten, sich mit geschlossenen Augen vorwärtsschieben lassen von einer Menschenmenge, die überall hinwollte und nirgends.
    Im Erdgeschoss links gab es eine Buchabteilung; viel leichte Kost für den Massengeschmack war zu haben; der Zeitschriftenverlag, Maxim Kliebers Aufwärts-Verlag, der Schützen-Verlag – sie alle stopften die Regale mit ihren bunten Broschuren voll, die von Südseeträumen, Bergeinsamkeit und dem Wilden Westen berichteten; Gegenden, in die der normale Neuköllner kaum jemals kommen würde. Trotzdem rissen die Leute sich um die illustrierten Titel.
    Auf einem Sockel im vorderen Bereich der Buchabteilung saß ein älterer Mann in einem bequemen Lehnstuhl und betrachtete blass, aber wohlwollend den Aufruhr. Immerhin schien das Volk das Bücherlesen zu einem festen Bestandteil seiner Freizeitgestaltung gemacht zu haben; für jedes Buch wurde eine Flasche Schnaps weniger gekauft, und nach der leichten Kost der Groschenromane würden nach und nach auch die anspruchsvolleren Werke gelesen werden. Es gab also Hoffnung. Letztlich hatte er selbst eben erst genau diese Vorwärtsbewegung erlebt; ein Buch, das keineswegs allzu leichte Kost war, das ihm als Autor 1904 bei seinem Erscheinen in Lübeck eine Menge Ärger und Ablehnung eingebracht hatte – dieses Buch, sein geschmähter
Professor Unrat
, war eben, in diesem April, hier in Berlin im Gloria-Filmpalast als gefeierter Spielfilm herausgekommen, der seitdem jeden einzelnen Abend bis zum letzten Platz ausverkauft war. Das mochte an dem schmissigen Titel
Der blaue Engel
liegen, an der lasziven Schauspielerin Marlene Dietrich, die der Drehbuchautor Vollmoeller für die Besetzung der Lola aufgetrieben hatte, und an dem vielen Geld, das Erich Pommers UFA in die Reklame gesteckt hatte. Aber letztlich war es doch sein Buch, das da verfilmt worden war mit dieser Weintraub-Jazzband und der Musik von Hollaender. Sein deutscher Roman, der sich seitdem verkaufte wie geschnitten Brot und ihm auch die Anfrage des Karstadt-Präsidenten eingebracht hatte: ob er nicht zur Eröffnung des Hauses am Hermannplatz aus seinem Buch würde lesen wollen.
    Natürlich wollte er. Die einsamen Jahre am Schreibtisch hatten ihm jede Erinnerung an die Physis des Volkes genommen; das Bad in der Menge war der reinste Jungbrunnen für ihn. Das Stimmengewirr, die unverblümte Berliner Sprache, das Schimpfen und Krakeelen – all das war einfach zu köstlich anzuhören. Heinrich Mann hätte den ganzen Tag hier auf seinem Lehnstuhl sitzen können, ein nachdenklicher Patriarch mit glitzernder Brille auf dem Siegertreppchen, verwundert, aber wohlwollend und voller Zutrauen darein, dass dieses deutsche Volk niemals im Leben für die Verführungen der Kriegshetzer und Demagogen empfänglich sein würde. Nein, da war er sich ganz sicher: Ein Volk, das las, war auf einem guten Weg.
    Rudi Carius teilte seinen Optimismus keineswegs. Heinrich Mann schmunzelte und unterschrieb milde lächelnd eine Ausgabe seines neueren Romans
Der Untertan
, den eine der Zuhörerinnen seiner Lesung im Anschluss hinten an der Kasse gekauft hatte. Carius war Kommunist und malte die Zukunft des Deutschen Reichs in den düstersten Farben. War das Revolutionsromantik, oder stand Deutschland wahrhaftig an der Schwelle zu einer Katastrophe? Heinrich schwankte in seinen Meinungen. Albert Einstein und er nahmen teil am politischen Leben des Landes, unterzeichneten Appelle, bezogen Stellung in den Zeitungen. Herrgott, die Stimme der Vernunft würde doch letztlich die klarste, zielführende sein?
    Carius teilte seine Meinungen nicht, aber sie teilten sich dieselbe Frau. Nelly. Heinrich Mann atmete tief ein; noch immer öffnete ihm der Gedanke an Emmy Johanna Kröger, an Nelly, alle Poren, alle Nervenenden seines Körpers; ein Zustand, der so ganz und gar nicht zu seiner wohlkontrollierten bürgerlichen Herkunft passte und seinem doch schon etwas fortgeschritteneren Alter von fast sechzig Jahren.
    Nelly war 27 Jahre jünger als er, und seine Familie hasste sie, ohne sie gesehen zu haben. Thomas

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