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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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»Reichszersetzer, bolschewistische Frauenschänder, jüdische Parasiten« und unendlich viele mehr. Unter Fricks hassgeifernden Tiraden war die freie Rede im Reichstag zu einem unquali fizierten, gebrüllten Schlagabtausch geworden; ohne Beleidigungen und verbale Tätlichkeiten ging keiner seiner zahllosen Auftritte im höchsten parlamentarischen Gremium Deutschlands über die Bühne. Und jetzt, als Thüringischer Staatsminister, vervielfachte Frick noch seine Anstrengungen; jetzt verfügte er endlich über die Machtinstrumente, seine Vorstellungen von deutscher Kultur- und Bildungspolitik auch in die Tat umzusetzen. Seine polizeilichen Schützlinge aus früheren Tagen wurden in der Landespolizei etabliert oder – wie Belfort – an andere Dienststellen anderer Bundesländer befohlen; gleichzeitig wurden sozialdemokratische oder kommunistische Lehrer oder Bürgermeister diffamiert, bekämpft und abgesetzt. Verbote von Zeitungen und Theaterstücken oder von Schullektüre wie
Im Westen nichts Neues
folgten: Frick kämpfte an allen Fronten, und er ließ es sich zum Leidwesen seiner damaligen Zöglinge auch nicht nehmen, in unregelmäßigen Abständen zuverlässig persönlich vorstellig zu werden und seinen polizeilichen Hoffnungsträgern Druck zu machen, sich noch mehr und noch rigoroser für die gute, die nationalsozialistische Sache einzusetzen.
    Der Boom der »Negermusik«, des »Kopulationsgesanges der Urwaldaffen« war ihm – ganz besonders in der Reichshauptstadt, die er als Fraktionsvorsitzender gut kannte – ein ständiger Anlass für wutschäumende Angriffe. Und dass Belfort, einer seiner fähigsten Männer, es trotz des gut bezahlten Postens bei der Kripo noch immer nicht zu nennenswerten Erfolgen in der Bekämpfung dieses kulturellen Grundübels gebracht hatte, brachte sein Blut in Aufruhr. Belfort verteidigte sich, so gut er konnte, ließ – ein polizeilicher Schnitzer – sogar den Namen des Hauptverdächtigen, Jenitzky, fallen, der Frick sogar ein Begriff war – und kassierte eine solche Standpauke, dass die Knöchel seiner rechten Faust, mit der er den Telefonhörer umkrampft gehalten hatte, noch jetzt, eine gute Stunde danach, kalkweiß waren und schmerzten, als hätte er damit gegen eine Wand geschlagen.
    Sándor Lehmann hatte es sich in aufreizender Gelassenheit auf seinem Platz bequem gemacht und – mütterlich umsorgt von Fräulein Wunder – eine erste und gleich darauf die zweite Tasse Kaffee getrunken. Wenn er, Belfort, Nerven zeigte, ging es Lehmann selbst offenbar gut; Belforts wütende Miene schien ihm einen kurzweiligen Tag voller Frohsinn und Kapriolen zu versprechen. Doch da stand Belfort auch schon vor Sándors Schreibtisch, kampfbereit und gewillt, die empfangenen Prügel beim kleinsten frechen Wort des Kollegen an dessen Buckel weiterzugeben.
    Sándor Lehmann sah auf; Belforts Lausbubengesicht wirkte wie aus Holzäpfeln zusammengeklebt; eine starre Parodie eines Kindergesichtes, die nichts Gutes verhieß.
    Genau besehen – Sándor musste das einräumen –, waren sie trotz sehr unterschiedlicher Lösungsansätze dem eigentlichen Ziel, der Überführung des Gasmörders in Person der Friedrichstädter Gastronomiegröße Jenitzky, noch keinen Schritt nähergekommen, und wenn an dessen betrunkener Selbstbezichtigung und der Ankündigung, eine Bombe zu zünden, etwas dran war, dann wurde allmählich die Zeit knapp, denn der stadtweite Kapellenwettbewerb im Café Jenitzky rückte schnell näher.
    Sándor überlegte. Er ließ sich nicht gern in die Karten schauen, gerade wenn es um Ermittlungsmethoden ging, aber schließlich erklärte er seinem Kollegen Belfort doch, dass man einen dicken – einen wahrhaft dicken! – Fisch wie Jenitzky nun mal nicht kurzerhand mit der Angel an Land zog. Dem mussten sie einen Köder hinwerfen, der fett genug war. Belfort hatte Lehmanns kargen Andeutungen mit einer arrogant verzogenen Miene zugehört, und jetzt fragte er, blass und schmallippig, aber offenbar ansatzweise interessiert:
    Â»Und von welchem Köder sprechen Sie?«
    Das lag eigentlich auf der Hand; Sándor seufzte. Der Mann war heute, wie sie im Wedding in falschem Französisch gern sagten, »schwer von Kapee«. Der Köder war natürlich Hallsteins Notizbuch, der wackelige Eintrag

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