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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Straße oder die Bahnschienen, die Stallanlagen, in denen das Vieh auf die Tötung wartete, die Schlachthallen mit ihren Hydrantenreihen, aus denen Unmengen Wasser entnommen wurde, um die Anlagen vor den gefürchteten Krankheitserregern zu schützen, selbst eine eigene blutverwertende Albuminfabrik – das alles war eine reibungslos aufeinander abgestimmte Ansammlung von Einzelgebäuden, die man hier am dünn besiedelten nordöstlichen Stadtrand je nach Bedarf erweitert hatte. Eine gelbe Backsteinmauer umgab alles, und die großen Eingangstore wurden bewacht wie die Reichsbank, denn Fleisch war in diesen Hungerzeiten ein kostbares und begehrtes Gut.
    Sándor marschierte mit seiner Polizeimarke einfach durch den Haupteingang; Jenitzky war in den Markthallen bekannt wie ein bunter Hund und sollte ebenfalls ohne großes Aufgehaltenwerden auf das Viehhofgelände gekommen sein. Belfort und seine Handvoll Männer hatten größere Schwierigkeiten; sie wollten in dem von vielen Menschen bevölkerten Areal nicht auffallen und mussten getrennt durch kleine Tore, über Lieferstiegen und Seiteneingänge einsickern, ohne einen Aufruhr auszulösen – und die Schlachthofarbeiter hielten zusammen, wenn es um die »Schmiere« ging. Jenitzky hatte den Treffpunkt gut gewählt, obwohl er am Telefon so getan hatte, als wäre er ganz zufällig sowieso hier oben im Norden der Stadt, um für seine Restaurantküche ein paar schlachtreife Schweine auszusuchen, ein paar Kilometer Würste zu ordern.
    Belfort jedenfalls musste seine verstreuten Fußtruppen erst wieder innerhalb des Geländes bündeln und koordinieren, und das dauerte eine Weile. So hatte Sándor ein paar Minuten Vorsprung, als er Jenitzkys unverwechselbare Silhouette durch die Glaswände der zentralen Markthalle ausmachte. Er trat durch das Eingangstor in das warm dampfende Gebäude, wo Männer mit Handkarren aneinander vorbeidrängelten, große Preistafeln wie in der Börse die aktuellen Fleischpreise anzeigten und in abgesperrten Gattern und Koben Hunderte von Tieren zum Verkauf und zur anschließenden Schlachtung bereitgehalten wurden. Jenitzky stand an einem Verschlag mit Rindern, krausköpfigen, dumm glotzenden Tieren, die mit ihren Kräuselhaaren und den massigen Schädeln wie eine lebendige Karikatur von Sándor selbst wirkten, der schon damals im Wedding immer »Kuhkopf« gerufen worden war und sich bei Jenitzkys Anblick verärgert an diesen alten Spottnamen erinnerte.
    Jenitzky hingegen schien keine negativen Gefühle zu hegen; vollkommen versunken kraulte er den Kopf eines Rindviehs, und erst als Sándor unmittelbar neben ihm stand, sah er verträumt auf und lächelte.
    Â»Da ist er«, sagte er zu dem Rind, »unser temperamentvoller Freund.«
    Er wandte sich Sándor zu, und sein Blick war – gespielt, gewollt oder wirklich? – der eines Aufwachenden.
    Â»Sie haben mir was zu lesen mitgebracht, Lehmann, stimmt’s? Ich bin ganz begierig auf die Lektüre. Steht außen ein Preis auf dem Umschlag, wie bei einem Groschenroman? Ach, warten Sie, ich zahle Ihnen auf jeden Fall …« Er schlug seinen ausgeleierten, sicher einmal sündhaft teuren Wollmantel auf und griff in die weit ausgestellte Hosentasche.
    In diesem Moment ging alles ganz schnell.
    Sándor, der mit dem legendären 1888er rechnete, machte einen Satz über das Gatter und fand sich unversehens neben dem irritiert aufblökenden Jungbullen wieder. Im selben Augenblick kamen von zwei Seiten gleichzeitig Belfort und seine Männer über ein Laufgitter hoch über den Marktständen gerannt, und Sándor, der das Gescheppere auf den Gitterrosten hörte, sah hinauf und schrie:
    Â»Belfort, nein!«
    Doch sein Kollege, der die Waffe schon beim Laufen in der ausgestreckten Hand hatte, hörte nicht auf ihn; er feuerte sein ganzes Magazin auf den Mann im anthrazitfarbenen Wollmantel ab, ohne auch nur einen Warnruf abgegeben zu haben.
    Jenitzky hatte sich in der Sekunde, in der Sándor gerufen hatte, ohne zu zögern, vor dem Rundholzgatter auf den Boden geworfen und außer Schussweite gerollt, und so war es das Rind, das für die im Laufen viel zu ungezielt abgegebene Polizeimunition den Kugelfang abgeben musste. Das Tier blieb noch ein paar Sekunden zitternd und glotzend stehen und brach dann mit den Vorderläufen zuerst tot zusammen.
    Die Schüsse und ihr

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